Trail-Bewertungen kastrieren den Mountainbikesport
Drei Farben haben meine Kindheit geprägt: Blau, Rot und Schwarz. Es waren die Farben der Skipisten. Blau war für die Anfänger, Rot bedeutete Spass und die schwarzen Pisten waren eine Herausforderung. Diese Farbcodes verstand jeder und sie haben sich im Wintersport bis heute gehalten. Was bei Skipisten funktioniert, wird wohl auch für Bike-Trails passen! Als ich vor zwanzig Jahren die «Singletrail Maps» ins Leben rief, habe ich das Bewertungssystem vom Winter in den Sommer übertragen. Den Farbkodex Rot, Blau, Schwarz versteht bereits jeder, statt auf einem Pistenplan nun halt auf einer Mountainbike-Karte. Soweit alles klar.
Zu viele Faktoren
Ich merkte dann schnell: So einfach wie auf den Skipisten ist die Schwierigkeitsangabe für Singletrails nicht. Beispielsweise ist so mancher Pfad über die Jahre von Schwarz in Rot übergegangen. Nicht weil ihm eine Trail-Crew mit Pickel und Schaufel die Zähne gezogen hätte, sondern weil in der Zwischenzeit die Reifen dicker und die Federungen grosszügiger geworden sind. Die Mountainbike-Technik hat einen erheblichen Einfluss auf die Trail-Bewertung: Es ist nicht das Gleiche, eine Route mit einem Hardtail und schmalen Reifen oder mit einem grobstolligen Enduro-Bike unter die Räder zu nehmen. Auch Petrus redet bei der Trail-Bewertung ein gewichtiges Wörtchen mit. Regen verfärbt so manchen roten Trail in eine schwarze Route. Eine griffige Felsplatte wird bei feuchten Bedingungen spiegelglatt. Und dann wäre da auch noch die Fahrtrichtung: Ein Höhenweg kann in eine Richtung flowig, in die andere geradezu unfahrbar sein. Und schliesslich stellt sich auch die Frage, ob man eine Route nach ihrer schwierigsten Stelle oder über ihre ganze Länge beurteilt. Alles doch nicht so einfach!
Lass dich doch überraschen!
Seit mittlerweile zwanzig Jahren diskutiere ich über die Bewertung von Singletrails mit der Erkenntnis: Eine objektive Angabe ist faktisch nicht möglich. Braucht es aber auch nicht. Bewertungssysteme wie der Farbkodex der «Singletrail Map» oder die verbreitete Singletrail-Skala von S0 bis S5 können uns allenfalls eine Vorstellung vermitteln, was einen im Gelände erwartet. Von der Idee einer wissenschaftlichen und verlässlichen Messmethode sollten wir Mountainbiker uns indes verabschieden, weil sie eigentlich den Grundwerten der Sportart widerspricht. Unsere gesellschaftliche Absicherungsmentalität mag für viele im Alltag sinnvoll sein, doch eine Mountainbike-Tour darf und soll auch in Zukunft noch ein kleines Abenteuer sein. Einer der Reize des Mountainbikesports ist es, dass nicht alles vorhersehbar und kalkulierbar ist. Die Bewertungssysteme gaukeln uns eine Sicherheit vor, die wir eigentlich gar nicht suchen.
Weitere Blog-Beiträge von Thomas Giger