Wie der Rennsport meine Disziplin Enduro tötete | Ride MTB

Wie der Rennsport meine Disziplin Enduro tötete

In diesen Tagen hat Specialized ihr neues «Enduro» vorgestellt. Vergessen geht dabei, dass dieses Modell den runden zwanzigsten Geburtstag feiert. Specialized hat damals den Mountainbikesport revolutioniert indem sie der Kombination aus Bike-Abenteuer und Trail-Spass einen Namen gab – «Enduro» eben. Thomas Giger erklärt in seinem Blog, warum die Strategie von Specialized für ihn wegweisend war und wie es dazu kam, dass der Rennsport den Begriff in den letzten Jahren förmlich kastrierte.

Vor genau zwanzig Jahren hat meine Form des Mountainbikens einen Namen bekommen. Man schrieb das Jahr 1999, und es war die Firma Specialized, die mit ihrem neuen Modell genau das verkörperte, warum ich mich in den Sattel schwang. Sie nannten ihre neue Linie «Enduro» und meinten damit Mountainbikes, mit denen alles möglich war. Schwierige Abfahrten. Lange Aufstiege. Leicht und trotzdem mit ausreichend Federweg. Mit Enduro hat Specialized die, bis dato starren Grenzen zwischen Cross Country und Downhill aufgebrochen. Aus der Modell­bezeichnung hat sich darauf eine eigene Disziplin entwickelt, bei welcher Spass, Abenteuer und vor allem das Trail-Erlebnis im Vorder­grund stand. Enduro ist ein Symbol für Freiheit ausserhalb festgefahrener Normen. Genau das, was ich stets gesucht habe – Specialized hat dem Ganzen einen Namen gegeben und damit für mich die Sportart stärker revolutioniert als alle anderen Firmen mit ihren Innovationen.

Dann kam vor einigen Jahren jemand auf die Idee, aus Enduro eine Wettkampfdisziplin zu machen. Ich schüttelte damals verwundert den Kopf. Enduro, dieses Sinnbild für Freiheit, Abenteuer, Unabhängigkeit, Spass: Was hat das mit Reglementen, Ranglisten und Renn­strecken zu tun? Ich war überzeugt, dass diese aufkommende Renndisziplin eine Totgeburt sei – weil sie aus meinen Augen keinen Sinn machte. Herausgekommen ist es anders. Diese Rennen sind mittlerweile trendiger als je zuvor.

Von meiner Vision von «Enduro» ist nicht mehr viel übriggeblieben. Wer heute das Wort «Enduro» in den Mund nimmt, meint in der Regel Abfahrtsrennen auf Singletrails, bei welchen man einen Teil der Aufstiege aus eigener Kraft bewältigen muss. Enduro bedeutet heute: auf einer vorgegebenen Strecke zu einer spezifischen Startzeit möglichst schnell herunterzufahren. Und mittlerweile haben ein paar besonders Ehrgeizige bekanntlich auch bereits in den Giftschrank gegriffen, um nochmals einen Tick schneller zu sein. Das ist das pure Gegenteil davon, mit dem Specialized vor zwanzig Jahren den Mountainbikesport revolutioniert hat. Der Rennsport hat meine Idee von «Enduro» getötet. Ich nehme das Wort «Enduro» nicht mehr in den Mund, und betreibe den Mountain­bikesport wie eh und je – mit Spass, Aben­teuer und Trail-Erlebnis. Bloss hat diese Form nun keinen Namen mehr.
 

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