Läuft in Deutschland die Singletrail-Diskussion aus dem Ruder? | Ride MTB

Läuft in Deutschland die Singletrail-Diskussion aus dem Ruder?

In Stuttgart stehen sich Singletrail-Hungrige und Behörden verständnislos gegenüber, in Bayern wurde eine offizielle Präzisierung zum Waldgesetz veröffentlicht, die faktisch ein komplettes Singletrail-Fahrverbot bedeutet. Heiko Mittelstädt von der Deutschen Initiative Mountainbike DIMB engagiert sich seit Jahren um Zugang zu schmalen Wegen für Mountainbiker. Im Interview ordnet er die jüngsten Entwicklungen ein.

Die Zwei-Meter-Regel in Baden-Württemberg lebt, Bayern führt ein Singletrail-Verbot ein – was läuft gerade schief in Deutschland?
Ach, das wird total aufgebauscht. Die Zwei-Meter-Regel gilt zwar nach wie vor, wird aber überhaupt nicht durchgesetzt. Viele Bundesländer sind hingegen liberal. Was in Bayern passiert, ist tatsächlich ein Rückschlag. An der Gesetzeslage hat sich allerdings gar nichts geändert. Es gibt nur diese Verwaltungsvorschrift – das ist eine Dienstanweisung des Ministeriums an die ausführenden Behörden – wie der Ausdruck des «geeigneten Wegs» zu interpretieren ist.
 
Von wem ging diese Neuinterpretation des Gesetzes aus?
Das kam vor allem von den Almbesitzern und den Forstverwaltungen. Früher beschwerten sich eher die Wanderverbände, die die Wege pflegten und sich von Mountainbikern gestört fühlten. Mit ihnen haben wir inzwischen einen guten Kontakt.  
 
Es wird sogar damit gedroht, dass die Bikes konfisziert werden, wenn Leuten auf Singletrails erwischt werden. Was sagt die DIMB dazu?
Es ist grundsätzlich möglich bei einer Ordnungswidrigkeit das Tatwerkzeug einzuziehen. Dazu müsste im Fall des Mountainbikens aber schon ein sehr gravierender Vorwurf im Raume stehen, um das zu rechtfertigen. Denn eine Einziehung muss verhältnismässig sein. Schade, dass hier vom Ministerium Ängste geschürt werden, die in der Praxis wohl kaum eine Grundlage haben.
 
Was unternimmt die DIMB gegen die Situation in Bayern?
Gegen die Verwaltungsvorschrift können wir rechtlich nichts machen. Erst wenn tatsächlich Verbotstafeln aufgestellt würden, könnten wir dagegen klagen. Doch wir wollen zuerst den politischen Weg gehen. Wir haben dazu in Bayern das Ministerium zur Einrichtung eines landesweiten Runden Tisch aufgerufen, an dem wir die Kriterien der Eignung für das Mountainbiken nochmals besprechen wollen. Dass ein Weg einfach aufgrund seiner Breite gesperrt wird, heissen wir nicht gut. Ein pauschales Singletrail-Verbot ist auch unter den weiteren Sport- und Tourismusverbänden sehr umstritten.
 
Was waren die Reaktionen auf euren Aufruf?
Das zuständige Ministerium teilte uns mit, dass sie die Situation die nächsten drei Jahre beobachten und dann mit uns evaluieren wollen. Das finden wir als DIMB nicht richtig und haben mit der Forderung nachgelegt, dass es eben jetzt schon einen landesweiten Runden Tisch geben muss. Denn sonst befürchten wird Insellösungen, je nach Interpretation der lokalen Behörde. Die Antwort darauf steht noch aus.
 

«Es ist ein Hotspot-Problem.»

Wie sieht es in den weiteren Bundesländern aus, verschärft sich die Situation dort ebenfalls?
Nein, es ist ein Hotspot-Problem. In den Grossstädten wie München und Stuttgart gibt es viele Mountainbiker. In den Gebieten um diese Ballungszentren herum oder im Alpenraum, wo es die Menschen aus diesen Städten hinzieht – sei es zum Wandern oder zum Biken – kann es an schönen Wochenenden zu Problemen kommen. Im bayrischen Wald, im Schwarzwald, im Thüringerwald haben wir so viele Wege, dass das unter der Woche überhaupt kein Problem ist. Die gemeinsame Wegenutzung funktioniert – egal wie breit oder wie schmal der Weg ist.
 
Die meisten können aber nicht unter der Woche einen Tag mountainbiken gehen.
Sehr viele Touren finden nach Feierabend im heimischen Umfeld statt. Aber da, wo viele Leute gleichzeitig raus möchten, benötigt es mehr attraktive Bike-Strecken. Das entflechtet Biker und Wanderer und wirkt auch dem eigenmächtigen Streckenbau entgegen.
 
Wie oft kommt es wegen in Eigenregie gebauter Trails zu Konflikten?
Eigenmächtig gebaute Strecken sind in erster Linie ein Hilferuf in Regionen, wo es für Mountainbiker kein attraktives Angebot gibt. Wo es latente Konflikte gibt wie in Stuttgart oder München und wo man es verschlafen hat, ein richtiges Angebot zu schaffen, da ist es eskaliert. Das lag auch an Corona, weil da Schüler und auch Erwachsene mehr Zeit hatten.
 
Wie geht ihr damit um – immerhin gehören die Schaufler auch zu den Mountainbikern, die ihr vertretet?
Wir unterstützen diese Leute, indem wir ihnen helfen, wie sie legal vorgehen, mit wem sie sprechen müssen. Wir haben einen Streckenbau-Leitfaden auf unserer Webseite und beraten auch persönlich. Aber ein Genehmigungsverfahren ist natürlich ein zäher Prozess. In jedem Fall geht es nur, indem man sich mit allen Stakeholdern abstimmt. Man kann nicht einfach mit dem Spaten losziehen und sich seine Strecke in den Wald schaufeln
 

«Eigenmächtig gebaute Trails sind ein Hilferuf.»

Wird wirklich nur da geschaufelt, wo es keine Strecken gibt? Gehen nicht auch manchmal von legalen Strecken selbstgebaute Linien ab?
Wenn das passiert, dann reagiert die Organisation, welche für die offiziellen Strecken verantwortlich ist. Mountainbike Freiburg beispielsweise konnte inzwischen fünf Strecken realisieren, hat 2000 Mitglieder und ein entsprechendes Standing in der Mountainbike Community. Wenn die den Leuten sagen: «So geht’s nicht!», dann wirkt das. Was auch vorkommt, ist, dass in einer Region nur eine einzelne Strecke besteht, die irgendwann zu langweilig wird, zu einfach oder auch zu anspruchsvoll ist und dann weitere Linien entstehen. Auch da zeigt der eigenmächtige Streckenbau, dass der Bedarf nicht gedeckt ist. Deshalb ist es wichtig, wenn die Verwaltung mit den Vereinen gut zusammenarbeitet und Strecken ermöglicht, weil das für alle Seiten ein Gewinn ist.
 
Wie oft kommt es vor, dass von Bikern gebaute Trails nachträglich legalisiert werden?
Das kann vorkommen, aber eher bei naturbelassenen Wegen; bei seit Jahren bestehenden Trampelpfaden, die befahren werden. Aber oft sind gebaute Strecken schon aufgrund des Naturschutzgesetzes oder der Eigentumsverhältnisse nicht genehmigungsfähig. Und natürlich wollen Behörden nicht in die Verlegenheit kommen, dass es heisst: «Die bauen einfach was und nachträglich wird es legalisiert!»

Welchen Anteil an Konflikten rund ums Mountainbiken haben die Mountainbiker selber?
Wir haben in Deutschland bis zu 16 Millionen Mountainbiker, das sind 20 Prozent der gesamten Bevölkerung. Ab und zu hört man in den Social Media oder in der Zeitung, dass sich jemand rücksichtslos verhielt. Der überwiegende Teil der Mountainbiker verhält sich natur- und sozialverträglich. Was wir als DIMB auch immer wieder betonen: Deutschland ist generell grosszügig, wenn es darum geht, dass Mountainbiker Wege benutzen dürfen und dass zusätzlich Strecken gebaut und weitere Angebote geschaffen werden.
 
Welchen Anteil hat die DIMB daran?
Wir konnten auf Bundesebene unsere Ideen in die Waldstrategie eingeben, welche das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgesetzt hat. Es gibt ein gemeinsames Positionspapier, in welchem steht, dass Wege in festem Zustand grundsätzlich für das Mountainbiken geeignet sind, egal wie breit oder wie schmal sie sind. Dahinter steht der Deutsche Olympische Sportbund, der Tourismusverband, die Forstbesitzer und die Ministerien der Bundesländer.
Aber rechtlich entscheidend sind die Wald- und Naturschutzgesetze der Bundesländer. Auch dort bringen wir uns ein. In Hessen konnten wir verhindern, dass das Waldgesetz in Bezug auf das Mountainbiken verschärft wird. In Thüringen und Nordrhrein-Westfalen dürfen «feste Wege» mit dem Rad befahren werden, in Hessen «befestigte und naturfeste Wege». Es sieht in vielen Bundesländern gut aus, doch es gibt auch Bundesländer, wo wir noch Arbeit vor uns haben.
 
Hat der Erfolg des Mountainbikes gewisse Leute aufgeschreckt?
In Bayern ist das so. Im Allgäu brodelte es seit etwa drei Jahren vor allem bei den Grundbesitzern. Davor war man in Bayern der Meinung, dass das Naturschutzgesetz das Mountainbiken genügend regle und es keine Nachjustierung brauche. Es ist schade, dass die Politik dem nachgegeben hat und das Gesetz strenger interpretieren möchte.
 

«Deutschland ist generell grosszügig gegenüber den Mountainbikern.»

Bist du als Vertreter der DIMB eher Krisenmanager oder nimmt das Ganze eine positive Entwicklung?
Natürlich gibt es immer wieder Rückschläge, aber die Popularität des Mountainbikes lässt sich ja nicht wegdiskutieren. Ich sage zu den anderen Stakeholdern immer wieder: Ihr könnt euch das Mountainbike nicht wegwünschen. Lasst uns eine gemeinsame Lösung finden, wenn es vor Ort Probleme gibt! Zum Beispiel mit einer eigens gebauten Strecke. Die ist gut für die Eigentümer, weil sie bei einer offiziellen Strecke wissen, wo was passiert, vielleicht ist der Tourismus, ein Verein oder die Gemeinde der Träger der Strecke und übernimmt den Betrieb. Und es ist von Vorteil für den Naturschutz, weil eigenmächtiges Buddeln in sensiblen Gebieten verhindert wird. Ordnungsrechtlich kann man das ohnehin nur im kleinen Rahmen unter Kontrolle halten. Ich glaube nicht, dass jemand permanente Polizeipräsenz im Wald wünscht. 
 
In welche Richtung entwickelt sich Deutschland in Sachen Mountainbike-Freundlichkeit?
Es wurde viel auf dem vorhandenen Wegenetz erreicht. Für die DIMB sollen diese Wege weiterhin die Grundlage sein, damit alle in der Nähe ihres Wohnorts mountainbiken können. Es wurden zusätzlich auch schon einige Strecken gebaut. Aber wir merken, dass das nicht reicht. Ich sehe durchaus grosse Offenheit bei allen Stakeholdern, sie sehen, dass weitere Angebote notwendig sind. Als Vertreter der DIMB hoffe ich, dass wir die freie Wegewahl auf dem bestehenden Wegenetz dauerhaft erhalten können und nur sehr wenige Verbote bekommen. Und es braucht gebaute Strecken in den Hotspots, denn da sind die Probleme. In der Fläche, in den Mittelgebirgsräumen, wo nicht so viele Menschen wohnen oder hinfahren, da ist die Situation entspannt.
Das Mountainbike ist Teil der grossen Entwicklung, welche die Mobilität gerade durchmacht. Das Fahrrad gewinnt als Verkehrsmittel an Bedeutung und wird anders gesehen als vor einigen Jahrzehnten. Deutschland mit seiner Autoindustrie tut sich da vielleicht ein wenig schwerer als andere Länder und die Diskussion um das Mountainbiken ist auch eine Übertragung der Konflikte zwischen Autofahrern und Radfahrern in den Innenstädten. Aber so wie man andere gesellschaftliche Themen heute ganz anders sieht als noch vor 50 Jahren, so wird man auch das Mountainbike in der Natur in ein paar Jahren ganz anders betrachten.

Heiko Mittelstädt ist Bereichsleiter MTB-Fachberatung der Deutschen Initiative Mountainbike e. V. DIMB. Seine Aufgaben sind die Interessensvertretung zur Rechtslage, Beratung zum Streckenbau sowie die Kommunikation.