Das Unwort das Jahres 2020: «die Entflechtung» | Ride MTB

Das Unwort das Jahres 2020: «die Entflechtung»

Wir Menschen plappern uns immer wieder Floskeln nach, ohne zu bemerken, welch Schwachsinn dahinter steckt. Das ist im Mountainbikesport nicht anders. Deshalb wird an dieser Stelle regelmässig das Unwort des Jahres gekürt. In diesem Jahr: «die Entflechtung». Also die absurde Strategie, Mountainbiker und Wanderer voneinander fern zu halten. «Entflechtung» basiert auf dem Gegeneinander, die Zukunft liegt aber beim Miteinander, meint Thomas Giger im Blog-Beitrag.

Die «Entflechtung», das ist für viele eine Art Zauberwort der Stunde. Mountainbiker hier, Wanderer da. «Entflechtung» ist die Superformel, um den vermeintlichen Ärger auf den Singletrails ein für alle Mal zu beenden. Getrennte Wege führen zu Harmonie im Gelände. Tönt auf den ersten Blick verständlich, und deshalb setzen Beamte, Touristiker, Raumplaner und sogar Fachberater immer stärker auf dieses Zauberwort. Sie tun dies, weil es für sie die einfachste Lösung ist: einen neuen Trail schaufeln, und schon sind Mountainbiker glücklich und Wanderer zufrieden. Das tönt nach Friede, Freue, Eierkuchen – ist aber eine fatale Sackgasse.

Für eine konsequente «Entflechtung» müsste massiv in die Weginfrastruktur investiert werden. Das ist ökonomisch fragwürdig und ökologisch schwerwiegend. Entflechtung führt zu einem massiven Eingriff in die Natur – während Mountainbiker und Wanderer aber die intakte Natur suchen. Punktuell ist gegen separate Linienführungen nichts einzuwenden. Das ist dann aber keine Entflechtung, sondern das lokale Management grösserer Menschenmassen. Man löst die Stauproblematik am Gotthard schliesslich auch nicht mit dem flächendeckenden Neubau von Autobahnen.

Die Apartheid war auch «Entflechtung»

Die «Entflechtung» hat in der Geschichte der Menschheit noch nie funktioniert. In Südafrika zum Beispiel wollte man die weisse und die schwarze Bevölkerung «entflechten». Die Entflechtung hat hier einfach einen anderen Namen: Apartheid. Und auch in Deutschland wollte man vor 80 Jahren eine ultimative Entflechtung. Beides hat im Desaster geendet. Und bei den Black-Lifes-Matters-Demonstrationen in den USA gehts im Kern um den Kampf gegen die gesellschaftliche und ökonomische Entflechtung. Und im Mountainbikesport soll diese Strategie den Weg in die Zukunft weisen?

Aus diesem Grund ist die «Entflechtung» das Unwort des Jahres 2020. Der Begriff wird im Mountainbikesport inflationär verwendet, ohne sich darüber kaum je ernsthaft und grundlegend Gedanken dazu zu machen. Die jüngere Geschichte der Menschheit hat gezeigt, dass das Zukunftsmodell «Miteinander» heisst und nicht «Gegeneinander». Jeder neugebaute Bike-Trail fördert aber das Gegeneinander, denn er basiert auf dem Denkmuster: Mountainbiker da, Wanderer dort. Damit steuern wir schnurgerade in die Sackgasse der unheiligen «Entflechtung».
 
 

Das Unwort des Jahres 2019: der «Natur-Trail»

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Das Unwort des Jahres 2021: die «Lieblingstour»

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