Das Unwort 2022: Tagfahrlicht-Obligatorium
Die Schweiz ist eigentlich bekannt und beliebt für ihre liberale Haltung. Es braucht hier nicht für alles ein Gesetz oder eine offizielle Regelung. Der bekannteste helvetische Jurist heisst denn auch: der gesunde Menschenverstand. Mountainbiker können davon ein Lied singen. Während in vielen Alpenländern versucht wird, die Fahrradfahrer mit Paragraphen und Verbotsschildern in die Schranken zu weisen, ist in der Schweiz der gesunde Menschenverstand das Mass der Dinge.
Schildbürgerstreich statt Aprilscherz
Die Schweiz ist eine pragmatische Insel in einem gefühlt überregulierten Europa. Das galt bis am 1. April 2022. Seit diesem Tag ist in der Schweiz eine der weltweit dämlichsten Verkehrsregelungen in Kraft: die ausnahmslose Lichtpflicht für E-Mountainbiker. Und zwar ganztags, eingeschaltet und überall. Auf der Strasse, auf Trails, im Bikepark, auf dem Pumptrack. Die pragmatische und liberale Schweiz hat seit da das schärfste Velogesetz in Europa.
Das führt für E-Mountainbiker zu skurrilen Situationen. Wie zum Beispiel der Aufstieg auf einer Alpstrasse. Hier gibts keinen Verkehr, aber eingeschaltetes Licht ist Pflicht. Oder die einsame Singletrail-Abfahrt vom Berggipfel. Das ist erlaubt (im Gegensatz zu anderen Alpenländern), aber nur mit eingeschaltetem Licht. Auch die Fahrt im Bikepark oder auf dem Pumptrack ist nur noch beleuchtet gestattet. Die Lichtpflicht gilt notabene nur für E-Mountainbiker. Nicht betroffen von der Regelung ist der unmotorisierte Sportsfreund, der auf den gleichen Strecken und mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs ist. Kurzum: Das Gesetz ist ein real gewordener Schildbürgerstreich.
Wo ist die MTB-Lobby?
Ein neues Gesetz entsteht allerdings nicht über Nacht. Da stellt sich die Frage: Wo blieb in der Vernehmlassung der Widerstand von Organisationen, die sich stets den Einsatz für den Mountainbikesport auf die Fahne schreiben? Imba, Swiss Cycling, Schweiz Mobil oder Velosuisse nahmen zwar schriftlich Stellung gegen das Gesetz, dabei blieb es aber. Keine Zusammenarbeit, keine Mobilisierung, kein Powerplay. Das irrsinnige Beleuchtungsgesetz legt schonungslos offen, wie gut der Schweizer Mountainbikesport auf dem politischen Parkett vernetzt ist: gar nicht. Wir Mountainbiker schaffen es nicht einmal, ein solch weltfremdes Gesetz zu kippen. Es braucht endlich eine schlagkräftige Lobby, um bereit zu sein, wenn der Amtsschimmel das nächste Mal wiehert. Und um diesen unsinnigen Paragraphen wieder aus dem Gesetz zu entfernen.
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