Blog: «Protektoren widersprechen meiner Vision des Mountainbikens» | Ride MTB

Blog: «Protektoren widersprechen meiner Vision des Mountainbikens»

Das Tragen von Knie- und Ellbogenschonern gehört mittlerweile auf Bike-Touren zum guten Ton. Der Verzicht auf Protektoren hingegen gilt als Frevel. Einer dieser Protektoren-Verweigerer ist Thomas Giger. Das Tragen von Protektoren habe Parallelen zur Gesellschaft: Wir wollen individuell keine Verantwortung mehr übernehmen. Was das zudem mit der Covid-Pandemie zu tun hat, erklärt Giger in seinem Blog-Beitrag.

 
Ich verzichte beim Mountainbiken auf Protektoren. Knieschoner, Ellbogenschützer, Rückenpanzer, Crashpants sind in meiner Garderobe keine zu finden. Selbst Handschuhe trage ich nur, um nicht an die Finger zu frieren. Mein Verzicht auf Schutzausrüstung erfolgt nicht aus dümmlicher Fahrlässigkeit, vielmehr ist es ein bewusster und rationaler Entscheid.
 
Protektoren widersprechen meinem grundlegenden Verständnis der Sportart. Zum Mountainbiken gehört ein bewusstes Risiko-Management. Der Umgang mit Gefahren und die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sind zentrale Elemente der Sportart. Ich muss auf dem Rad nicht meine Grenzen ausloten, sondern sie genau kennen. Wenn mir eine Stelle zu gefährlich erscheint, steige ich ab und gehe den Abschnitt zu Fuss. Ich stürze auf dem Mountainbike extrem selten, weil ich meine Fähigkeiten genau kenne. Alpines Gelände ist für mich nicht dazu da, das Risiko zu suchen, sondern damit umzugehen. Die Ausnahme in meiner persönlichen Ablehnung von Protektoren bildet der Helm und die Brille. Der Schädel und die Augen sind mir zu sensibel, um sie nicht zu schützen. Auch das gehört zu meinem persönlichen Umgang mit Risiken.
 
Mein Verzicht auf Protektoren hat indes auch eine gesellschaftliche Dimension. Wir leben mittlerweile in einer Sicherheitskultur und möchten uns stets gegen alle Eventualitäten schützen. Auf dem Bike mit Protektoren, im sonstigen Leben mit Versicherungen. Und wenn kein solche vorhanden ist, soll der Staat einspringen. Wir beschäftigen uns nicht mehr mit Risiken, sondern reduzieren oder delegieren sie.
 
Aktuell treiben wir diese Einstellung auf die Spitze. Mit den Massnahmen gegen die Covid-Pandemie versuchen wir, ein Risiko um jeden Preis zu vermeiden – koste es, was es wolle. Der Grund dafür ist die fehlende Bereitschaft, sich rational einem Risiko zu stellen und mit diesem umzugehen. Doch wenn wir uns als Gesellschaft gegen alles absichern und alle Risiken verhindern wollen, wird niemand mehr eine Firma gründen. Christoph Kolumbus hätte Amerika niemals entdeckt, und Neil Armstrong hätte keinen Fussabdruck auf dem Mond hinterlassen. Die beiden waren keine hirnlosen Draufgänger. Es waren Personen, die sich bewusst mit dem Risiko-Management auseinandergesetzt haben.
 
Dieses Risiko-Management fängt für mich im Kleinen an: bei den Protektoren auf dem Mountainbike. Ich verzichte auf diese, weil sie meinem Weltbild widersprechen. Keine Schützer zu tragen ist für mich aber auch eine Form von Freiheit. Und der Preis für Freiheit heisst Verantwortung. Ich bin bereit, sie zu tragen und mit ihr umzugehen. Auf dem Mountainbike wie im «normalen» Leben.
 

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