Meinung: Interne Verkabelung ist die Vera*sche des Jahrzehnts | Ride MTB

Meinung: Interne Verkabelung ist die Vera*sche des Jahrzehnts

Ja, es sieht chic aus. Hinter dem Steuerrohr verschwinden alle Kabel. Doch nur solange, bis die Bremse, die Schaltung oder der Elektroantrieb nicht mehr will. Dann geht das Gefummel los: Intern verlegte Kabel sind in der Werkstatt oft der reinste Albtraum. Für den Mech und für den Kunden. Die Industrie machts trotzdem.

Auf Youtube ist es noch lustig (siehe unten): Er packt den Akkubohrer und fräst ein ordentliches Loch ins Unterrohr und verlegt so gut zugänglich die Kabelhülle. In der Realität haben die verfluchten Zu- und Ausgänge aber nicht Kaffeetasse-Unterteller-Grösse. Sondern sind derart winzig, dass es gerne schon ein Gefummel darstellt, eine Aussenhülle mit Endhülse durchzuzwängen.

Ein einfaches Kabel einziehen dauert...

Kürzlich stand für mich die Aufgabe an, an einem motorisierten Mountainbike eine Trail-taugliche Leuchte zu montieren. Direkt an den Akku angeschlossen - eine feine, integrierte Sache. Die Leuchte war schnell unter dem Display angebracht und will um Leuchtkraft zu erlangen mit dem Motor verbunden werden. Dazu muss das Kabel durchs Unterrohr, der Zugang ist an einem eher winzigen Loch auf der rechten Seite des oberen Unterrohrs.

So startet der von Anfang an gefürchtete Vorgang, der mit Mechatronik oder Mechanik rein gar nichts zu tun hat. Eher mit Höhlenforschung und Nerven- und Fingerakrobatik. Ich stosse also das Stromkabel der Lupine in dieses Zugangsloch. Und stosse und stosse. Die Gretchenfrage dabei: Kommt das Kabel am Bestimmungsort raus? Könnte ja sein, dass der Hersteller einen Kabelkanal verbaut hat und der Leitung nichts anderes bleibt, als am richtigen Ort wieder das Tageslicht zu erblicken.

... mehr als eine nervenaufreibende Stunde

Knappe 65 Minuten später kommt das Kabel tatsächlich am richtigen Ort raus. Dazu habe ich den Mittelmotor ausgebaut, die Kettenführung demontiert, den Akku abgenommen, einen darunterliegenden Kabelschacht freigelegt. Dann zuerst versucht mit dem Spezialwerkzeug von Park Tool der Leitung ihren Weg zu bahnen. Mit Magneten am Unterrohr rumgefummelt, gleichzeitig dabei die Taschenlampe gehalten - also wie ein Oktopus mehrere Hilfswerkzeuge gleichzeitig manövriert und dabei (fast) nie die Nerven verloren.

Am Schluss ist es ein profanes, stählernes Bremskabel, das den richtigen Weg rein und wieder raus findet. Natürlich erst, wenn es nach einem Zentimeter Länge in einen spezifischen Winkel gebogen ist, damit es am Ausgang nicht hängen bleibt. An diesem als Wegfinder eingezogenen Bremskabel fixiere ich mit Gaffa-Tape die Licht-Litze und kann so das Kabel einziehen. Ich verbinde das Kabel mit dem Lichteingang am Motor, befestige den Minus- und Plus-Pol an der Leuchte und – oh Wunder – die Lampe tut ihren Dienst. Die späte Freude ob dem Licht ist gross. Und mein Unglauben gegenüber diesen Bike-Konstrukteuren noch grösser, die etwas derart umständliches entwerfen und auf Mountainbiker und Mechaniker los lassen.

Ein paar Tipps für interne Verkabelung:

  • Wenn Du ein Leitung rausziehst: Ziehe immer gleich eine nach. Befestige beispielsweise die Park Tool-Lanze in der Bremsleitung, ziehe die Bremsleitung vorsichtig raus und dann hast du gleich das blaue Kabel intern verlegt, um die neue Leitung einzuziehen.
  • Wenn das mit dem blauen Spezialwerkzeug nicht geht: Befestige mit starkem Klebeband ein bewegliches Lichtkabel an der Hülle. Dann ganz vorsichtig die Hülle rausziehen, bei Widerstand versuche zu erörtern, weshalb das Umzugsmanöver ins Stocken gerät. Und sei nicht überrascht, wenn die Klebeverbindung trotz aller Vorsicht abreisst. Es gibt einfach Rahmen- und Hinterbaukonstruktionen, die sind nicht gemacht dafür, nachträglich Kabel oder Aussenhüllen einzuziehen.
  • Es gibt noch eine ganze Menge «Bike Hacks for Internal Routing» oder «How to fit internal cables»: Suche mit diesen Begriffen bei Youtube. Dann findest du von professionellen bis sehr amateurhaften Anleitungen, wie man Kabel einzieht. Es geht dabei sogar um Staubsauger!
  • Empfehlenswert für ein gutes Gelingen von internen Verkabelung ist wie oben erwähnt das Spezialwerkzeug von Park Tool. Wichtig ist ebenso eine Taschenlampe, um Licht ins Dunkel der Gabel, des Rahmens oder des Hinterbaus zu bringen. Zur Not tut es auch das LED-Licht des Smartphones. Am Zugang reinleuchten, am Ausgang kucken, welchen Weg eine Hülle zu gehen hat. Manchmal visualisiert sich so ein erstaunlich akrobatischer Weg.
  • Das beste Rezept für stressfreie Arbeiten an internen Verkabelung ist und bleibt: Kein Zeitdruck und möglichst gute Laune. Wer das Gefummel unter Zeitdruck oder bereits zu Anfang an übellaunig beginnt, hat schon verloren.
  • Was manchmal auch Wunder wirkt - bevor man tatsächlich wie der Youtube-Mechaniker ein Loch bohrt in den Carbon-Rahmen: Das Bike mal in die Ecke stellen. Und die Reparatur einen Tag später nochmal angehen, denn gut Ding will ja schliesslich Weile haben. Vielleicht dem Hersteller in einer ruhigen Minute eine Nachricht schreiben, dass das Bike zwar beim Fahren viel Freunde macht, aber in der Werkstatt dank der schlecht gelösten internen Verkabelung ein Albtraum ist.