«Wir haben alles auf Null runtergefahren» | Ride MTB

«Wir haben alles auf Null runtergefahren»

Kurt Resch ist einer der bekanntesten und profiliertesten Mountainbike-Hoteliers in Südtirol. Eigentlich stand er mit dem Steineggerhof bei Bozen kurz vor der Saisoneröffnung, jetzt ist alles anders. Mit dem Lock-Down Italiens steht beim ihm alles still. Im Interview erläutert er die Situation in Italien. Eine seiner Botschaften: Macht Hamsterkäufe und verzichtet dann auf weitere Einkaufsfahrten.

Wie lässt sich deine aktuelle Situation beschreiben?
Hier in Steinegg ist alles ruhig, gespenstig ruhig. Man hört keine Autos, manchmal eine Motorsäge oder einen Traktor. Selbst Flugzeuge sieht am Himmel man keine, nur Vögel zwitschern.
 
Tönt eigentlich ganz idyllisch!
Na ja, wir haben im Dorf einen Mann in Quarantäne und unser Nachbar, keine 40 Jahre alt, wurde gestern mit starkem Fieber ins Krankenhaus gebracht. Niemand darf ihn besuchen, das belastet uns erheblich. Ansonsten geht es uns gut, es fehlt an nichts. Wir haben vorgesorgt und uns mit genügend Lebensmitteln eingedeckt. Jeder Schritt vor die Tür erhöht das Ansteckungsrisiko. Frische Lebensmittel organisieren wir ein Mal in der Woche mit dem Lieferdienst von Biokistl.
 
Habt ihr diese Situation kommen sehen oder wurdet ihr auf dem linken Fuss erwischt?
Die Ausbreitung des Corona-Virus verfolge ich schon seit dem letzten Jahr. Als die Chinesen im Wuhan in kurzer Zeit ein Krankenhaus aufgestellt haben, ab da an wusste ich: Die Lage ist sehr ernst. Als es dann in der Lombardei los ging, habe ich mir täglich mehr Sorgen gemacht. Die Politiker haben die Lage zu lange unterschätzt, es ist aber auch eine ausserodentlich schwierige Entscheidung, ein ganzes Land lahm zu legen. Wäre der Virus dann doch nicht so gefährlich gewesen, steht man wiederum in der Verantwortung, ein Land faktisch zu ruinieren. Die Südtiroler Landesregierung hat aber rechtzeitig die notwendigen Massnahmen ergriffen. Unsere Nachbarsländer wie die Schweiz unterschätzen meiner Meinung nach die Gefahr unvermindert. Die Bevölkerung wird immer noch zu wenig gewarnt.
 
Bei dir und vielen anderen Bike-Hotels in Südtirol würde der Saisonstart Anfang April bevorstehen. Daraus wird nun nichts, oder?
Nein, auf Ostern können wir auf keinen Fall aufsperren. Anfang März haben wir unsere Gäste informiert, dass wir die Eröffnung auf den 25. April nach hinten verschieben. Buchungen können kostenlos storniert werden. In Südtirol wurden am 11. März alle Hotels und Skilifte geschlossen. Meine Töchter haben dadurch ihre Arbeit verloren und sind in Lohnausgleich. Für Hoteliers, die das ganze Jahr offen haben, ist die Lage ernst. Einer von ihnen ist Alex Resch von der «Goldenen Krone» in Brixen. Seine Kosten laufen weiter, Personalspesen und Lieferantenrechnungen sind trotzdem zu bezahlen. Wir dagegen haben unseren Betrieb nicht offen und haben sozusagen keine Spesen, verdienen aber auch kein Geld. Deshalb können wir keine Kredite zurückzahlen. Aktuell hoffe ich, dass wir Mitte Mai wieder einigermassen in den Normalbetrieb übergehen können, realistisch ist aber wohl eher Juni.
 
Italien ist bei den Massnahmen gegen die Corona-Pandemie Ländern wie der Schweiz oder Deutschland um etwa zwei Wochen voraus. Auf was müssen wir uns gefasst machen?
Man muss sich nur die Situation in der Lombardei anschauen. Sie hat es zuerst erwischt, wurde sozusagen vom Corona-Virus überrollt. Italien hat darauf alles abgeriegelt, vorher sind die Menschen noch geflüchtet und in den Süden ausgewichen. Bloss: Damit wurde das Virus weiterverbreitet. In der Lombardei sind die Verhältnisse schlimm. In einer Stadt las man am 9. Februar in der Tageszeitung noch etwas mehr als eine Seite mit Todesanzeigen. Einen Monat später waren es bereits zehn Seiten. Das sagt wohl alles.
 
Was können wir daraus von euch lernen?
Als kürzlich bei uns die Skigebiete geschlossen wurden, hätte man dies im gesamten Alpenraum tun müssen. Die beste Strategie zur Eindämmung ist eine Totalsperre. Arbeiten sollten nur noch in wichtigen Berufen erlaubt sein. Alle müssen zu Hause bleiben. Wir sind alle Biker, ich habe ein neues E-Mountainbike im Keller, lasse es aber stehen. Sollte ich mich verletzen und bräuchte eine Behandlung im Krankenhaus, dann kann es bei Bettenknappheit passieren, dass ich auf der Intensivstation einem bedürftigen Patienten den Platz wegnehme und er wegen mir allenfalls sterben muss. Aber auch bei leichten Verletzungen belaste ich das ohnehin überlastete Personal. Es wird viele Tote geben, meist alte Menschen mit Vorerkrankungen – aber hat nicht jeder von uns einen Vater, Mutter, Oma oder Opa. Würde man deren Leben wegen einer Party aufs Spiel setzen?
 
Viele bezeichnen die Situation als hysterisch. Wie schätzt du diese Massnahmen ein?
Am Anfang habe ich mir auch gedacht: Hamsterkäufe, muss das sein? Ja, muss sein. Deckt euch mit Lebensmitteln ein, um später so wenig oft einkaufen zu gehen als notwendig. Organisiert einen Lieferservice. Wir müssen diszipliniert sein und uns an die Vorgaben halten: Bleibt zu Hause! In der Stadt ist das schlimm, wenn man zum Beispiel nur einen kleinen Balkon hat. Wir auf dem Dorf sind da besser dran, können auch mal im Garten etwas machen.
 
Diese Massnahmen bewirken einen enormen wirtschaftlichen Schaden insbesondere auch im Tourismus. Könnte es sein, dass diese Massnahmen schlimmer sind als das Virus selber?
Wenn man damit Menschenleben retten kann, sind solche Massnahmen unbedingt notwendig. Die wirtschaftlichen Folgen werden aber schlimm werden. Aber ganz ehrlich: Unser System war eh schon unmenschlich, und unser Wohlstand ist nur auf der Ausbeutung anderer Menschen in der Dritten Welt möglich gewesen. Da braucht es ein Umdenken, und der Corona-Virus ist der Wink mit dem Zaunpfahl!
 
Wie gehst du als Hotelier nun vor, um wenigstens einen Teil der Tücher noch ins Trockene zu bringen?
Wir sind ein Saisonbetrieb, haben mit unseren Mitarbeitern gesprochen und sie kommen auch in dieser Saison wieder. Leider können wir ihnen jetzt keine Arbeit geben, das tut uns sehr leid, denn einige Mitarbeiter sind Selbstständige und verdienen kein Geld. Andere sind noch in Lohnausgleich und kriegen wenigstens etwas Geld. Ob wir dann wirklich alle Mitarbeiter anstellen können, das steht noch in den Sternen. Wir haben ansonsten im Hotel keine Spesen, haben alles auf Null runtergefahren und tätigen keine Investitionen. Die Ausgaben beschränken sich auf Lebensmittel, die wir verbrauchen. Das ist überschaubar. Aber mit der Bank muss ich noch reden, im Juni ist die erste Rate einer Kreditrückzahlung fällig. Es gibt aber Hilfen von den Banken, da bin ich zuversichtlich.
 
Ein Blick in die nahe Zukunft: Wann denkst du, können wir wieder mit Normalität rechnen? Mountainbiken in den Alpen in diesem Sommer, ein realistisches Szenario?
Ich hoffe, dass wir bis Anfang Juni virenfrei sind. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind 14 Tage später dran und ich glaube kaum, dass dann viele Menschen in den Urlaub fahren werden. Wenn wir Glück haben, dann wird der Herbst gut. Aber für dieses Jahr sehe ich schwarz. Auch Biken wird in diesem Jahr sicher noch gehen. Ich hoffe aber, dass viele Menschen umdenken und sich von einer Konsumgesellschaft auf eine naturbewusste, umweltfreundliche, menschliche Gesellschaft ändern. Wir müssen so viel ändern, packen wir es an und bleiben gesund!

Kurt Resch ist Gastgeber im Bio- und Bike-Hotel Steineggerhof in Steinegg bei Bozen.
 

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