Vom Nordkap nach Kapstadt auf Keks
«Unsupported Cycling» nennt die Fachwelt das, was Jonas Deichmann betreibt. Niemand begleitet ihn, keine Materialdepots oder Helfer erleichtern unterwegs das Vorwärtskommen. Während «supported» Ultra-Radfahrer von einem Wohnmobil voller Betreuer, hochwertiger Nahrung und Ersatzteilen begleitet werden, muss er alles selber transportieren oder unterwegs besorgen. Die Folge sei, dass er sich in abgelegenen Gebieten oft von tockenen Keksen ernähre, weil sie das einzige seien, das man kaufen kann.
Weil er so nicht auf die 10'000 Kalorien kommt, die er täglich braucht, frisst er sich vor seiner «Cape to Cape»-Expedition vom Nordkap nach Kapstadt acht Kilo Speck an. Und die braucht er, nicht nur wegen der Kekse sondern auch, weil er in Afrika zwischendurch gezwungen ist, Nilwasser zu trinken. Die Folge sind wiederkehrende Lebensmittelvergiftungen.
Die dramatischen Höhepunkte der 72 Tage: Eine Woche im Dauerregen auf dem Seitenstreifen russischer Highways während die Lastwagen ungebremst an ihm und seinem Mitstreiter Philipp Hympendahl, vorbeidonnern. Einmal wird Deichmann von einem Rückspiegel an der Schulter getroffen. Weil Deichmann und Hympendahl weder durch Syrien noch durch den Irak fahren wollen, fliegen sie von Shiras im Iran ins nordwestlich davon gelegene Kairo und pedalen von da weiter südwärts.
In Ägypten besteht die Polizei darauf, die beiden Radfahrer zu eskortieren. Alle 50 Kilometer lösen sich die Begleittrupps ab, mit entsprechender Wartezeit für die beiden Abenteurer, die die Strecke in Rekordzeit schaffen wollen.
Zu Beginn der Sahara-Durchquerung muss Hympendahl aufgeben, der als Fotograf mitradelt. Seit dem zweiten Tag rebelliert sein Magen. Derart geschwächt in die Einsamkeit der Wüste zu fahren, wäre Selbstmord. Deichmanns Magen ist etwas weniger beeinträchtigt, also kämpft er sich allein, mit zu wenig Essen und zu wenig Wasser in sechs Tagen durch die Sahara. Danach ist der Speck weg.
In Äthiopien ist es unter Kindern Brauch, Radfahrer mit Steinen zu bewerfen. Zudem brechen Unruhen aus, mehr als einmal muss sich der Abenteurer in ein Hotel oder einen Polizeiposten flüchten. «Äthiopien und Russland sind die zwei Länder, die ich so schnell nicht wiedersehen muss» sagt er einige Wochen später.
Elend als Kulisse
Muss es denn überhaupt sein, durch bitterarme Gegenden zu reisen, in denen Menschen verhungern? Erklärt das die Aggression der Kinder gegen den Weissen auf dem Velo? Deichmann hatte unterwegs genügend Zeit, darüber nachzudenken. Seine Antwort: «Jeder weiss, dass es Hunger gibt auf der Welt. Ich könnte diesen Gegenden ausweichen, aber ich setze mich dieser Realität lieber aus. Ausserdem waren viele Menschen in anderen Ländern, die ebenso arm sind, wahnsinnig nett und hilfsbereit.»
Auf den verbleibenden 5000 Kilometern durch Tanzania, Zambia, Botswana und Südafrika kann sich Deichmann wieder auf die üblichen Schwierigkeiten wie Lebensmittvergiftung, Gegenwind, Gesässschmerzen und Keksdiät konzentrieren. Natürlich gibt es auch zahlreiche Lichtblicke: freundliche Locals, Affen, Zebras, Giraffen und Elefanten kreuzen seinen Weg. Am 19. November fährt er in Kapstadt ein. 72 Tage hat er gebraucht, 33 Tage weniger als der bisherige Rekordhalter. «Für mich zählen die Erlebnisse unterwegs. Der Rekord ist die Kirsche auf dem Kuchen», ordnet der abgemagerte Athlet ein. Warum es die Bestmarke brauchte, daraus macht er kein Geheimnis: «Radreisen durch Afrika gibt es pro Jahr wohl über hundert. Erst der Rekord macht meine Geschichte für Medien und Sponsoren interessant.»
Aufgrund früherer Velotouren wie Panamericana (23000 Kilometer) oder Eurasia (14000 Kilometer) weiss er, dass er vier bis fünf Monate brauchen wird, um sich körperlich und mental zu erholen. Dann beginnt das Training für die nächste Herausforderung. Wohin es geht verrät er noch nicht: «Die Strecke habe ich während «Cape to Cape» im Kopf geplant. Sie wird länger und härter als alles, was ich davor gemacht habe.»
Deichmanns Reiseblog (Anfang unten): www.jonasdeichmann.de
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Bericht ARD