Test: Rocky Mountain Sherpa – ist Plusgrösse ein Plus? | Ride MTB

Test: Rocky Mountain Sherpa – ist Plusgrösse ein Plus?

Die mitteldicken Reifen rollen langsam auf den Markt zu und Mountainbike-Hersteller definieren in welcher Richtung sie die Plusgrössen sehen. Rocky Mountain geht mit ihrem Modell «Sherpa» einen eigenen Weg. Ride hat das Overlanding-Bike getestet und deckt die Vor- und Nachteile dessen auf.

Das Rocky Mountain «Sherpa» ist ein dezenter Hingucker. Das Bike ist farblich schlicht gehalten, während ein tibetanischer Schneelöwe die Optik des schwarz-matt lackierten Carbon-Rahmens veredelt. Auch die WTB-Scraper-Felgen und die Manitou-Federgabel tragen farblich zum Design bei. Für dessen Einsatzbereich passend spezifiziert Rocky Mountain einen 2x10-Antrieb. Spannend ist hier, dass die 11-36T-Kassette auf einer gängigen, 142 Millimeter breiten DT-Swiss-Nabe montiert ist. Rocky Mountain verzichtet beim Sherpa bewusst auf die neuen 148 Millimeter breiten Hinterradnaben und bekommt auch so eine anständige Kettenlinie hin. So bleibt im leichtesten Gang noch immer genügend Platz zwischen der Kette und dem 2.8 Zoll breiten Reifen. Der Einsatz von 142-Millimeter-Naben hat den Grund, dass bei einem Defekt einfacher Ersatzteile aufzutreiben sind, als für die noch neuen 148er Naben. Im Weiteren setzt Rocky Mountain auf einen Hinterbau aus Aluminium statt aus Carbon.
 

Rocky Mountain Sherpa
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Detaillierte Angaben zur Spezifikation sind unter folgendem Link zu finden: www.ride.ch/rocky-mountain-sherpa

Das Aha-Erlebnis
Betrachtet man die solide Ausstattung, ist das Gewicht des Sherpa mit 13.4 Kilogramm ein guter Wert. Immerhin kommen auch 45 Millimeter breite Felgen und 2.8 Zoll breite Reifen zum Einsatz, welche zusätzlich an der Waage reissen. Wegen den Reifen stellt sich die Frage, wie der Vortrieb ausserhalb des rauen Geländes ist. Vor der Testfahrt werden die WTB-Trailblazer-Reifen auf 1.3 Bar gepumpt. Dies ist eher an der oberen Grenze wenn man bedenkt, dass diese auch mit 1 Bar gefahren werden können.

Angesagt wurde schon mehrfach, dass solche Reifen selbst bei niedrigem Luftdruck gut rollen. Tatsächlich tun sie das und man kommt auch auf Schotter- und Asphaltstrassen überraschend leicht voran. Nach einem Stück auf der Strasse befahren wir einen breiten Trail mit weichem bis zähem Untergrund. Hier rollen die mittelbreiten Schlappen leicht darüber, während es auf dem selben Abschnitt, im direkten Vergleich mit 2.2-Zoll-Reifen, deutlich zäher ist. Auch auf Sand oder losem Schotter wie er auf Kiesbänken in Flüssen zu finden ist, geht es mit den Plusreifen besser voran als mit schmaleren Reifen, mit denen man oft seitlich wegrutscht oder die Kraft nicht auf den Boden bringt. Der «Zauber» liegt dabei klar im niedrigen Luftdruck, durch den sich die voluminösen Reifen bestens auch losem Untergrund anpassen und dadurch besser greifen.

Gespannt wird dem Aufstieg entgegengeschaut, denn das leicht behäbige Bike scheint nicht die Bergziege zu sein. Dies gehört aber auch nicht zur Aufgabe des Rocky Mountain «Sherpa». Ohne zu übertreiben, überrascht das Bike auch hier indem es erstaunlich gut klettert. Es lässt sich auch zügig den Berg hochtreiben und gut beschleunigen, doch macht das nicht annähernd soviel Spass wie mit einem Cross-Country-Bike. Das Sherpa entschleunigt eher den Renngetriebenen Charakter und so lässt es sich gerne gemütlich den Berg hochschlendern – trotz 13.4 Kilogramm und breiten, weichen Reifen.

Was schon die Kiesbettfahrt ans Licht gebracht hat, macht sich auch auf verwurzelten Anstiegen positiv bemerkbar. Denn solche erscheinen plötzlich leichter als mit schmaleren Reifen, da die weichen Trailblazer-Reifen einen unglaublichen Halt generieren. So ist in steilen Anstiegen plötzlich nicht mehr die Traktion, sondern die Beinkraft der limitierende Faktor.

Gutmütiges Fahrverhalten dank Reifen
Fährt man das Sherpa ohne die zusätzliche Last von Sattel- und Lenkertasche, fehlt einem die Variosattelstütze, an welche wir uns an Trailbikes so sehr gewöhnt haben. Natürlich lässt sich das Bike zu solchen Zwecken auch nachrüsten. Doch hier im Test fahren wir mit konsequent hochbleibendem Sattel. Dabei verhält sich das Sherpa, dank des zusätzlichen «Federwegs» der Reifen, bergab vorteilig. So geht auch plötzlich vergessen, dass sich der Sattel nicht per Knopfdruck rauf- und runterlassen lässt. Dies ist aber nicht nur den voluminösen Reifen zuzuschreiben, sondern auch dem weichen Fahrwerk. Dank diesem werden Unebenheiten geschluckt, abgedämpft und somit nicht nach an die Hände weitergeleitet.

Weiche Reifen und ein weiches Fahrwerk? Was vielleicht unlogisch klingt, macht durchaus Sinn. Die Manitou-Federelemente arbeiten mit niedrigem Luftdruck, speziell auf die dicken Reifen und das Bike abgestimmt. Dies ist wichtig, da die Reifen zwar Schläge schlucken, diese aber kaum gedämpft zurückgeben. Deshalb fahren wir die Gabel auch mit mehr Dämpfung als üblich.
Um das herauszufinden lassen wir während der Testfahrt stetig ein wenig Druck aus den Reifen wie auch aus Gabel und Federbein. Das Fahrverhalten wird tatsächlich besser als zuvor mit einer eher gestrafften Abstimmung von Federbein- und Gabel. Diese sprechen sehr sensibel an und harmonieren bestens mit den Reifen. Bei knapp 28 Prozent Negativfederweg und deren 22 am Federbein ist die Grenze erreicht, um das Fahrwerk nicht ständig ans Limit zu treiben. So werden die 120 Millimeter Federweg am Vorderrad und deren 95 am Hinterrad perfekt ausgenutzt. Der Luftdruck in den Reifen liegt nun bei 1.1 Bar.

Mit dieser Abstimmung fühlt sich die Fahrt auf stark verwurzelten Trails erstaunlich «entspannt» an. Das Bike vermittelt dadurch ein sicheres Fahrgefühl, ohne dass man auf den teilweise blanken Wurzeln demnächst den Gripp zu verlieren glaubt. Auch in Schotterkurven zeichnen sich die 2.8-Zoll-Reifen durch einen verblüffend hohen Seitenhalt aus. Erstaunlich ist, dass die breiten WTB-Reifen, trotz dem niedrigen Luftdruck, während des Tests und dessen fahrtechnischen Schandtaten, nie weggeklappt sind. Dies ist wohl den 45 Millimeter breiten Felgen zuzuschreiben, welche durch ihre Breite die Reifen seitlich gut abstützen.

Bei schnellen Richtungswechseln spielt der Trägheitsfaktor gegen die Agilität. Dadurch erfordert das Sherpa deutlich mehr Körpereinsatz um es flink von der einen in die andere Kurve zu werfen. Hier will aber angemerkt sein, dass dieses Bike nicht speziell zu diesem Zweck konzipiert wurde. Hingegen lässt sich das Sherpa bei langsamen Tempi sehr gut durch technisch anspruchsvolles Gelände, wie zum Beispiel Switchbacks manövrieren.
Wo das Abenteurer-Bike ebenfalls seine Stärken ausspielt, ist in schnellen Abfahrten. Hier spürt man deutlich, dass die Ingenieure hohen Wert auf Laufruhe gelegt haben, damit das Bike vor allem mit Gepäck an Lenker und Sattel nicht unruhig wird und zu «schwimmen» beginnt.

 

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Fazit: Das Rocky Mountain «Sherpa» hat mit seinen Fahrleistungen überrascht und einigen Spass bereitet. Mit den 27plus-Reifen bedient es sich ein Stück weit den Vorzügen eines Fatbikes. Dessen Fahrverhalten kommt hingegen klar näher an das eines «normalen» Mountainbikes. Jedoch ist das Sherpa keinesfalls mit einem knackigen Trailbike zu vergleichen. Dafür ist es komfortabel und vermittelt ein sicheres Fahrgefühl, was es gerade für technisch weniger versierte Biker interessant macht. Wer seine Mehrtagestouren in unwegsames Terrain erweitern will, dürfte am Sherpa ebenfalls seine Freude haben. Denn es wiederspiegelt Rocky Mountains eigene Bezeichnung «Overlanding» treffend gut.

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