Test: Ist Bolds neues Unplugged das beste Enduro-Bike?
Grössenwahl und Abstimmung
Bei einer Körpergrösse von 178 Zentimetern würden viele wohl ein Medium-Rahmen wählen. Doch gerade im Bereich zwischen den Rahmengrössen sind es meist die persönlichen Vorlieben, die bei der Wahl der Rahmengrösse entscheidend ist – in meinem Fall ein Bike der Grösse L. Das gute beim Bold Unplugged, dank der tiefen Position des Dämpfers sind sehr langhubige Variosattelstützen möglich. Trotz der für L knappen Körpergrösse und verhältnismässig kurzen Beinen hätte die 200-Millimeter-Stütze noch weitere drei Zentimeter in das Sattelrohr geschoben werden können.
Die Abstimmung des im Rahmen versteckten Federbeins ist fast selbsterklärend. Dafür muss erst der Unterrohrschutz abgenommen werden, was keine grosse Übung darstellt. Mittels Druckknopfs am unteren Ende gelöst, wird die Platte dann leicht angehoben und am oberen Ende der Öffnung ausgefahren. Das Ventil liegt gut erreichbar an der Stirnseite des Dämpfers. Das Nude-Federbein von Fox bekommt 220 Psi, um bei einem Fahrergewicht von 75 Kilogramm die empfohlenen 30 Prozent Negativfederweg zu erreichen. Der Wert wird einfach an der Magnetskala abgelesen. Der Rebound stelle ich nach persönlichen Präferenzen tendenziell langsam ein. Letzterer ist etwas fummelig einzustellen, da die Schraube etwas knapp greifbar ist. Doch da ist Bold nicht alleine, und steht diesbezüglich nicht schlechter da als Bikes anderer Hersteller, bei denen die Zugänglichkeit gewisser Einstellschrauben oft fragwürdig ist.
Hochfahren leicht gemacht
Der Trend bei den Enduro Bikes hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend in Richtung Downhill verschoben. Hin zu schweren Mini-Downhillbikes, die man meist in die Bergbahn steckt, anstatt sie aus eigener Kraft die Berge hochzukurbeln. So wuchtig das neue Unplugged auch wirkt, bereits die ersten Meter berghoch verraten, dass sich Bold diesem Trend nicht gänzlich anschliesst. Der Twentyniner mit 160 Millimetern Federweg am Heck und robuster Ausstattung fährt sich verblüffend gut aufwärts.
Hier ist nicht nur der Rahmen äusserst steif, sondern auch der Dämpfer sehr ruhig – ein zusätzliches Blockieren ist praktisch nicht nötig. Da wippt praktisch nichts, selbst wenn man das Fahrwerk mit dem Betätigen des TracLoc-Hebels in die Ramp-Control- oder Climb-Modi noch antriebseffizienter machen kann. Gefühlt wird also kaum ein Watt verpufft. Im Weiteren fühlt man sich schnell wohl auf dem neuen Unplugged, was das gute Gefühl vermittelt, dass die Fahrt den ganzen Tag andauern könnte, ohne dabei vorzeitig zu ermüden. Auch anspruchsvollere Singletrail-Anstiege packt das Bike gut. Doch bei allem Lob den Uphill-Qualitäten geistert unweigerlich die Frage durch den Kopf: Geht dies zulasten der Abfahrts-Performance?
Effizientes Fahrwerk
Letztere Frage lässt sich zwar mit einem Nein beantworten, das bedarf aber einiger Erklärungen. Doch eins nach dem anderen. Der Hinterbau mit «Fox Float X Nude PE Evol» Federbein erledigt seine Arbeit erwartungsgemäss gut. Er spricht sensibel an und scheut die grossen Schläge nicht. Dabei glänzt er mit einer früh einsetzenden Progression. Dank dieser bleibt das Bike auch in Anliegerkurven stabil im Federweg und bietet genügend Popp beim Überwinden von Hindernissen oder beim Springen. Gleichzeitig sorgt die knackige Endprogression dafür, dass der Dämpfer in groben Abfahrten nicht durchrauscht und erst in extremen Situationen die Reserven anzapft. So liegt das neue Unplugged satt auf dem Trail, egal ob bei hohen Geschwindigkeiten oder in ruppigem Gelände. Vorne arbeitet beim Pro-Modell eine Fox-38-Performance-Gabel mit 170 Millimetern Federweg. Sie verrichtet ihre Dienste grundsolide. Am Unplugged Ultimate federt hingegen eine Öhlins-M.2-Air-Forke, die etwas komplexere Einstellmöglichkeiten aber auch etwas bessere Fahrleistungen bietet.
Laufruhig, agil, vielseitig
Das im Vergleich zum ersten Unplugged tiefere Tretlager, resultierend in einem tieferen Schwerpunkt, macht das Bike spürbar Laufruhiger aber auch ausbalancierter. Trotz seiner überaus hohen Laufruhe überzeugt seine Manövrierfähigkeit, die aber durchaus besser sein könnte. Dies ist der gewählten Rahmengrösse geschuldet. Auch wenn ich meist Bikes der Grösse L fahre, ist das neue Unplugged dann doch etwas an der oberen Grenze, was auch in den Fahrbildern auffällt. Hier wäre die Grösse M die bessere Wahl gewesen, auch wenn sich das «zu grosse» Bike noch immer erstaunlich spielerisch fahren lässt. Aber selbst Grösse L kann noch spielerischer.
Bold bietet die Grössen S und M als Mullet an, mit einem 27.5-Zoll-Laufrad hinten und einem 29er vorne. Auch wenn diese Konfiguration für die Grösse L nicht angeboten wird, lässt sie sich hier dennoch anwenden. Zwar büsst das Unplugged in der Mullet-Version etwas an Kletterstärke ein, aber es ist bei derselben Rahmengrösse auffallend agiler, ohne an Laufruhe einzubüssen. Wo sich bergab Stufe an Stufe reihen, vermittelt der Mullet-Umbau sogar mehr Sicherheit. Alles, was es für den Wechsel auf ein 27.5-Zoll-Hinterrad braucht, ist ein zusätzliches Hinterrad in 27.5 Zoll und das Minitool, das sich in der Crash Plate versteckt. Der Umbau betrifft lediglich das Anheben des Tretlagers mittels Flip-Chip, was in wenigen Minuten erledigt ist.
Apropos Minitool: Unter der Crash Plate versteckt sich nicht nur das kleine Werkzeug, sondern das «Safe the Day Kit» mit Minipumpe, Reifenhebern und Schlauch. Dieses lässt sich ebenso einfach herausziehen wie die Lenkerstopfen. Die sind nämlich ebenso hilfreich und bieten mit einem Reifenplug sowie einem kleinen Messer schnelle Hilfe bei der kleinen Tubeless-Reparatur. Und auch der Spannhebel der Hinterradachse verwandelt sich in ein Werkzeug. Aus der Achse gezogen, lässt er sich als sechs Millimeter Inbus sowie als 25er oder 30er Torx einsetzen.
Fazit
Die zweite Generation des Bold Unplugged ist nicht nur optisch ein Wurf. Mit seinen 160 Millimetern Federweg, verpackt in den sehr effizienten IST-VP-Hinterbau, bietet es ein Höchstmass an Vielseitigkeit. So ist es auf Enduro-Rennstrecken, in Bikeparks aber auch auf anspruchsvollen Touren gleichermassen zuhause, ohne in die Extreme zu gehen, womit das Gros der Mountainbiker zu wenig klarkommt. Das beste Enduro-Bike gibt es nicht, aber genau die Vielseitigkeit dieses Bikes hievt das Unplugged in die Top-Riege der Enduro-Bikes.
Andreas Vigl