Rampage & Co. – die heutige Form des Zirkus Maximus? | Ride MTB

Rampage & Co. – die heutige Form des Zirkus Maximus?

Extremsport-Events gehören in der Sportwelt zur Tagesordnung, und je grösser das Spektakel, desto besser für die Zuschauer. Athleten setzen sich jedoch grossen Risiken aus und das oft für ein Butterbrot. Der schwere Sturz an der Rampage von Paul Basagoitia regt zum Nachdenken an, und es stellen sich Fragen: Sind solche Events nötig? Wer trägt die moralische Schuld bei schweren Unfällen, und warum tun sich das Sportler an?

Die Redbull Rampage ist das alljährliche Highlight im Mountainbike-Freeride-Bereich und zugleich das Finale der «Freeride Mountain Bike World Tour». Diese Bigmountain-Veranstaltung in Wüste Uthas ist Kult und aus dem Mountainbike-Veranstaltungskalender nicht mehr wegzudenken. Doch wo eine Veranstaltung eine Fortsetzung findet, darf sie nicht stagnieren. In diesem Fall muss sie extremer werden, was in den letzten Jahren tatsächlich der Fall war. Wohlgemerkt: Die Rampage ist damit nicht alleine. Es gibt viele andere Sportarten, in denen man es für die Gunst der Zuschauer stetig auf die Spitze treibt und die Sportler hohe Risiken in Kauf nehmen.

Betrachtete man den Rampage-Kurs, hatte man nicht das Gefühl, dass er gegenüber dem vom Vorjahr extremer wurde. Schliesslich war er schon 2014 extrem genug. Eine Steigerung ist trotzdem drin, denn es sind die Fahrer, die immer mehr wagen, um die begehrte Krone und die hohen Siegesprämien zu angeln. Backflips, Frontflips und 360er sind über die grossen Sprünge und tiefen Drops keine Seltenheit mehr. Auch die Drops, welche die Fahrer in ihrer Linie wählen, sind teilweise so hoch, dass man bei der blossen Betrachtung Angst um die Fahrer bekommt.

Bereits in der Qualifikation der diesjährigen Redbull Rampage stürzten Nicholi Rogatkin und Nico Vink äusserst spektakulär. Rogatkin stürzte über eine Klippe und Vink kam nach einem Drop heftig zu Fall. Verwunderlich, aber beide kamen verhältnismässig glimpflich davon. Es hätte aber auch schlimmer kommen können, was im Finallauf am Freitag dann der Fall war. Paul Basagoitia sprang nach bei einem grossen Drop zu weit runter, konnte sich aber gerade noch auf dem Bike halten. Die Kontrolle war jedoch kurz weg, worauf es ihn aushebelte. Basagoitia stürzte über eine kleine Kante und blieb liegen. Die Folge war ein Bruch des untersten Brustwirbels sowie das Ausbleiben des Gefühls in den Beinen. Nach einer neunstündigen Operation liegt der Amerikaner weiterhin im Krankenhaus. Es bestehen Chancen, dass er irgendwann wieder gehen kann, die weiteren Folgen für ihn sind aber heute noch nicht absehbar.

Den Teilnehmern der Rampage kann man nicht vorwerfen, nicht ausreichend fit oder technisch nicht in der Lage zu sein, einen solchen Run zu meistern. Basagoitia selbst gehörte sogar zum erweiterten Favoritenkreis. Doch bei der Rampage sind alle am Limit. Wo am Limit gefahren wird, gehören Unfälle zum «Daily Business», das ist im Ski Alpin oder bei der Formel 1 nicht anders. Nur ist es bei der Rampage nicht möglich, Linien derart gut abzusichern wie am Lauberhorn oder gar Sturzzonen einzurichten.

Wir tragen die Schuld mit
Auf die Sinnfrage solcher Veranstaltungen gibt es wohl keine Antwort ebensowenig zur Schuldzuweisung bei Unfällen. Gegner solcher Extremveranstaltungen geben Red Bull und ihresgleichen die Schuld, dass sich Sportler immer grösseren Risiken aussetzen. Doch statt anderen die Schuld zuzuweisen, muss sich auch jeder selber an der Nase nehmen – eine gewisse moralische Schuld trägt jeder Rampage-Zuschauer auf seinen Schultern. Denn der Zirkus Maximus, wie es ihn im alten Rom gab, verschwand nie ganz und existiert heute in Form des Extremsports, der die Zuschauer vor Ort oder hinter die Bildschirme lockt.

Ich bin dabei keine Ausnahme, und jedes Jahr denke ich mir: «Dieses Mal schaue ich mir die Live-Übertragung nicht an.» Zusammen mit Freunden ergötze ich mich aber erneut an den unglaublichen Runs der Rampage-Teilnehmer. Jeder brenzlige Moment erzeugt ein schreckhaftes Zucken und jeder Sturz lässt mich erschaudern. Meinen Freunden ergeht es nicht anders, und trotzdem treffen wir jedes Jahr zum gemeinsamen Rampage-Schauen – wie im Zirkus Maximus im alten Rom, wo Gladiatoren gegen Löwen kämpften und oft nicht überlebten.
Mit dieser Erkenntnis müssen wir uns eingestehen, dass wir genau solches Spektakel sehen wollen. Nicht, dass wir auch nur einem Athlet eine Verletzung wünschten, aber die Action wollen wir trotzdem. Es sind aber auch Dinge, zu denen wir selbst nicht im Stande sind, die den Reiz solcher Veranstaltungen ausmachen. Solange wir solche Actionsportevents sehen wollen, tragen wir also eine gewisse Schuld an jedem Verletzten mit. Wir Zuschauer sind auch der Grund, weshalb die Industrie bei solchen Events oder bei Athleten als Sponsoren mit dabei sind. Ohne Zuschauer keine Sponsoren, ohne Sponsoren kein Preisgeld und ohne Preisgeld kein Risiko. So einfach wäre die Gleichung.

Doch auch die Athleten sind nicht mitschuldig. Es ist einfach zu behaupten, dass Sponsoren Druck auf die Athleten ausüben. Das habe ich selbst erlebt, auch das gehört zum Leben. Wer im «normalen» Berufsleben die Leistung nicht bringt, bekommt auch dort Druck aufgesetzt. Der Unterschied: Im Sport hat jeder Athlet die Freiheit selbst zu entscheiden, ob er sich so was antun will, oder nicht. Wer Nein sagt, braucht aber ein ordentliches Rückgrat. Das kann zum Verlust von Sponsoren führen – und welcher Sportler gibt schon gerne seinen Traum auf? Selbst wenn ich «nur» im Ausdauersport diesen Traum leben durfte, ist es im Endeffekt dasselbe – wenn auch bei der Rampage mit gesundheitlich relevanteren Folgen.

Die Sinn- und Schuldfrage ist eine müssige und nicht zu beantworten. Die Sensation gehört zum menschlichen Verhalten, und das seit tausenden von Jahren. Der Zirkus Maximus liegt heute einfach in Utah oder am Lauberhorn und wird live in die ganze Welt übertragen. Deshalb werde ich mir auch nächstes Jahre wieder sagen, dass ich aus moralischen Gründen die Rampage nicht verfolge – und es dann trotzdem tun. Wie wohl ganz viele andere Mountainbike-Begeisterte auf dieser Welt auch.

Ride-Redaktor Balz Weber war langjähriger Mountainbike-Profi bei diversen Weltcup-Teams, sein grösster Erfolg war der Weltmeistertitel in der U23 Klasse 2003 in Lugano.