Krieg der St...andards: Der Kampf ums Innenlager | Ride MTB

Krieg der St...andards: Der Kampf ums Innenlager

Auf der Leinwand tobt der Krieg der Sterne, in der Bike-Branche wütet der Krieg der Standards. Beim Velo startet soeben eine weitere Revolte ums Innenlager. Und wie im Film zeigt eine kleine Gruppe von Rebellen den Mächtigen, wo's lang geht. Wer schlussendlich gewinnt, steht beim Velo in den Sternen.

Auf der Leinwand tobt der Krieg der Sterne, in der Bike-Branche wütet der Krieg der Standards. Beim Velo startet soeben eine weitere Revolte ums Innenlager. Und wie im Film zeigt eine kleine Gruppe von Rebellen den Mächtigen, wo's lang geht. Wer schlussendlich gewinnt, steht beim Velo in den Sternen.

 

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Adieu Einpressen: Chris King und Argonaut Cycles haben einen neuen Innenlagerstandard entworfen, der Lager in grossem Durchmesser und Einschrauben per Gewinde vereint. Links die Lagerschalen, rechts das Montagewerkzeug (Bild: Argonaut Cycles, Vimeo)

Pressfit... und das Problem mit Toleranzen
Ben Farver, Eigentümer der Rahmenschmiede Argonaut Cycles, redet Tacheles: «Pressfit 30 ist praktisch, um ein Rahmen zu bauen und den Kunden sämtliche auf dem Markt verfügbare Kurbeln verwenden zu lassen. Das Problem mit Pressfit ist aber, dass man super exakte Toleranzen einhalten muss, beim Rahmen und beim Lager. Oft arbeiten diese Toleranzen gegeneinander.»

So schauts in der Shop-Werkstatt aus
Was Farver sagt, sieht im Shop und in der Werkstatt so aus: Der Kunde beklagt Knacksen im Tretlagerbereich seiner x-tausend Franken teuren Maschine. Nicht nur der Kunde ist unzufrieden, erst recht zu Fluchen hat der Mechaniker: Ein eng sitzendes respektive mehr als satt eingepresstes Pressfit-Lager ist kaum mehr aus dem Rahmen zu bekommen. Es hilft nur ein brachiales Ausschlagen des Lagers. Dazu gehört der Nebengeschmack, dadurch eventuell den Carbon-Rahmen zu beschädigen - was den Spass an der Arbeit natürlich wesentlich erhöht. Und der Spass geht weiter, denn ist die Schnittstelle im Rahmen eng, wo das Lager eingelegt wird, wird es unweigerlich wieder zu Knacksen kommen, da das Lager von aussen Druck bekommt und nicht rund läuft. Auch sehr knacksfreudig sind linke und rechte Lageraufnahmen, die nicht miteinander fluchten.

Und es gibt noch weitere Knacksmöglichkeiten: Ist der Lagersitz bei Pressfit zu weit, wird das Lager oder die Lagerschale im Rahmen beweglich sein – und erst recht nervtötend knacksen. Es soll Hersteller und Mechaniker geben, die als Notlösung Lager mit Sekundenkleber in teure Carbonrahmen kleben, um für Ruhe zu sorgen. Der Ausbau sorgt dann voraussichtlich wieder für viel Freude, siehe oben.

Wer hat einen Nutzen an Pressfit-Lagern?
Mit dem BB30-Standard, von Cannondale im Jahr 2000 mit Systemintegrations-Ansatz erfunden und als offener Standard der Bike-Branche zur Verfügung gestellt, kamen grossvolumigere Lager für die Kurbel zum Einsatz. Diese können besser Kräfte aufnehmen, sorgen für mehr Steifigkeit im Tretlagerbereich und sind richtig leicht. Das sind grundsätzlich sehr grosse Vorteile. Doch die in den Rahmen eingelegten oder eingepressten Lager sind dennoch grosser Murks.

Pressfit ist oft sehr nervig
Weshalb ist Pressfit Murks? Aus den Gründen, die oben beschrieben sind und Argonaut Cycles-Eigentümer Farver nennt. Die Toleranzen sind zu eng, damit es in grosser Serie nicht zu Schwankungen kommt. Profiteure sind die Rahmenhersteller, die dank Pressfit Ihre Rahmen als leichter und steifer anpreisen können – und keine Lagerschalen mit Gewinde mehr in den Rahmen montieren müssen. Ein Rahmen mit Pressfit-Aufnahme ist günstiger herzustellen als ein identischer Rahmen mit Gewinde am Tretlager. Sollte das Pressfitlager nicht präzise passen und das Bike ewig knacksen, dürfen es die Shops ausbaden. Ein Garantieantrag wegen knachsendem Innenlager kann zum Spiessrutenlauf zwischen Rahmen-, Kurbel- und Innenlagerhersteller werden. Denn beim Fahrrad gibt es unzählige Rahmenhersteller und noch viel mehr Komponentenhersteller: Dass sich diese auf Fertigungstoleranzen im Zehntelsmillimeterbereich einigen und sich daran halten, ist erfahrungsgemäss leider eine Ilusion.

 

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Links und in der Mitte: Ein Tretlagergehäuse im Format T47, rechts der Vergleich mit der bekannten BSA-Dimension. (Bild: Engin Cycles, via Facebook)

Wie geht's anders? Back to the future!
Farver von Argonaut Cycles hat sich Gedanken zum Innenlager gemacht und sich mit den Lagerspezialisten von Chris King unterhalten. Die Fahrrad-Enthusiasten wollten die Vorteile von gross dimensionierten Lagern beibehalten, aber das mit einer per Gewinde in den Rahmen verschraubten Lagerschale kombinieren. Die Idee scheint simpel und praktikabel. Mit «Thread Fit 30i» präsentiert Chris King mit Argonaut Cycles ein verschraubtes Innenlager mit grossem Lagerdurchmesser, bei dem alle Kurbeloptionen offen stehen. Mit anderen Komponentenherstellern hat Chris King am Konzept gearbeitet und präsentiert jetzt den Standard «T47», der für Rahmen- und Komponentenhersteller ab 2016 offen zur Verwendung steht.

Wie funktionierts?
Der Rahmen braucht wieder ein Gewinde! Bei Rahmen aus Alu, Stahl oder Titan ist das gut machbar. Bei Carbon-Rahmen ist das auch bekannte Technik von den Zeiten vor Pressfit, also vor dem Jahr 2000 - es ist jedoch ein Kostenfaktor, ein Metall-Gewinde präzise in das Carbon-Harz-Gemisch einzubauen. Ein Gewinde ist, korrekt eingepasst und/oder geschnitten, sozusagen ehrlich: Hier gibt es weit weniger Toleranzverträglichkeit, das Lager lässt sich einfach einschrauben oder nicht. Lässt sich das Lager nicht sauber eindrehen, hat einer gemurkst. Beim eingepressten Lager ist die Sachlage weit weniger klar oder gar unsichtbar.

Qualitäts-Rebellen gegen das Bike-Imperium
Es ist zu hoffen, dass die Qualitäts-Rebellen dem Bike-Imperium zeigen, wo der Hammer hängt und das Tretlagergewinde bald zurückschlägt. Der Standard ist offen verfügbar auf das Jahr 2016. Es wird aber circa 2-3 Modelljahre dauern, um zu sehen, welche Hersteller auf den neuen Innenlagerstandard anspringen.

 

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Ein Gewinde muss nicht das Allerheilmittel sein, hier eine komplett vermurkste Lagerschale.

Ein Aber bleibt
Ein kleines Aber bleibt jedoch: Ganz ohne Schwierigkeiten präsentiert sich eine geschraubte Lagerschnittstelle auch nicht. Wird das Gewinde nicht präzise geschnitten, passen die Gewindesteigungen nicht zusammen oder sind die Gewinderillen beschädigt worden durch unsachgemässe Montage- oder Demontagearbieten, kann ein Rahmen ganz schnell auf dem Schrotthaufen landen.

www.chrisking.com
www.argonautcycles.com
www.engincycles.com