First Ride: Rocky Mountain baut ein E-Mountainbike | Ride MTB

First Ride: Rocky Mountain baut ein E-Mountainbike

Da steckt nicht nur viel Drehmoment drin, sondern auch das Potential, Mountainibike-Traditionalisten vor den Kopf zu stossen: Rocky Mountain lanciert ein E-Mountainbike. Die Kanadier legen mit dem «Altitude Powerplay» eine saubere Premiere hin. Der Antrieb ist kraftvoll und harmonisch zu fahren – und das Fahrgefühl nahe an einem «normalen» Mountainbike.

Erst neulich hat Rocky Mountain das neue Altitude vorgestellt – und jetzt folgt der nächste, durchaus überraschende Streich: Beim kanadischen Kult-Brand rollt mit dem Altitude Powerplay ein E-Mountainbike ins Portfolio. Die Kanadier bleiben sich bei diesem treu und lancieren keineswegs ein me-too-Produkt. An Bord des Trailbikes mit 160 Millimeter Hub an der Front und 150 Millimeter am Heck ist nicht etwa ein Aggregat von Bosch, Brose, Yamaha oder Shimano. Für den Einstieg ins motorisierte Mountainbike-Geschäft arbeitet Rocky Mountain mit einer eigenen Entwicklung: So stammt der Motor, die Batterie, die Lenker-Bedienung und die App aus eigener Feder. Auch spendieren die Entwickler dem Altitude Powerplay im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern keine Plus-Bereifung. Sondern setzten bewusst auf 2.5 wide trail Reifen vom Schlag Maxxis Minion, die dem Bike ein präziseres Handling und weniger Gewicht verpassen sollen. Wer dennoch auf Plus-Bereifung setzten will, kann das mit 26x3.0-Zoll-Schlappen tun.

Motor aus eigenem Haus

Der Motor ist als Mittelmotor angesetzt. Mit der Spezialität gegenüber Bosch & Co., dass das Tretlager ausserhalb des Motor platziert ist. Das soll Knacksgeräuschen vorbeugen und eine grössere Auswahl bei Innenlagern und Kurbeln bilden. Am getesteten Bike verbaut war eine Race Face Turbine-Kurbel mit Pressfit-Innenlager. An der Kurbel sitzt ein Spider nach dem Standard Cinch, der mit einem Freilauf versehen ist und so die Kette frei beweglich macht, ein rückwärts Treten ist möglich. Entfernt man (ganz einfach mittels drei Schrauben) auf der rechten Motorseite die Abdeckung, so gibt es zwei Kettenführungsrollen und ein Antriebsritzel zu sehen. Auf diese Weise wird die Kette angetrieben und die Tretkraft verstärkt, gemessen wird die investierte Tretkraft mit einer Art Feder, die sich vor einem Magnetfeldsensor bewegt. Die Motorabdeckung und die obere Führungsrolle bestechen mit etwas «plastic fantastic»-Charme, diese zwei Teile fallen etwas ab gegenüber der hochwertigen Verarbeitung und Anmutung des Rahmens.

Wie fährt sich das «Altitude Powerplay»?

Das Resultat dieser Antriebsbauweise ist eine Zusatzkraft, die überaus harmonisch eingreift, nie unerwartet nachschiebt und selbst bei kleinen Kurbelbewegungen ohne Verzug den Motor anwirft. Ein kleiner Nachteil dieses spontanen, verzugs- und ruckelfreien Einsetzen der Tretunterstützung: Im Stillstand, wenn man den Fuss auf dem Pedal hält, macht der Motor mit einem leisen Brummen und Ruckeln auf sich aufmerksam, dass er bereit ist, jederzeit loszulegen. Das Bike verfügt auch über einen (niedrigen) Kadenzbereich indem dem sich die Kette - die über zwei Führungsrollen, das Kettenblatt und das Antriebsritzel läuft - durch eine gewisse Geräuschkulisse bemerkbar macht. Das ist nicht dramatisch, aber da der Motor an sich äusserst leise läuft, ist es schade, dass die Kette in (eher seltenen) Fahrsituationen diese Geräuschkulisse aufbaut. Erhöht man die Kadenz auf circa 70 Umdrehungen, so agiert der Antrieb – und die laufende Kette - sehr geräuscharm.

Die Geometrie der kanadischen Neuentwicklung entspricht der eines modernen Trial- oder Enduro-Bikes - und genau so fährt es sich auch: Das «Altitude Powerplay» klettert gut, bietet stets gute Traktion und in der stärksten Unterstützungsstufe und rund 80 Newtonmetern Drehmoment schmelzen auch längere Uphills zu kleinen Hügeln. Sobald man auf dem Trail in Richtung bergab abbiegt, zeigt das «Altitude Powerplay» sein wahres Gesicht: Das Bike liegt satt auf dem Trail, es geht spielerisch in einen Bunny Hop, es mag herausforderndes Terrain, die Geometrie und die fähigen Federelemente von Fox verleihen dem Bike Abwärts-Qualitäten, bei denen viel eher der Fahrer die Limite darstellt und nicht das Bike.

Integrierter Akku

Bei der Batterie betrieben die Ingenieure konsequente Systemintegration. Der Akku, der je nach Bike-Modell mit 500 oder 632 Wattstunden aufwarten kann, sitzt fix im Unterrohr. Das Kraftpaket ist demnach nicht im Handumdrehen zu entnehmen, dazu ist der Ausbau des Motors notwendig. Die Batterie arbeitet mit 48 Volt Spannung, das trage dazu bei, dass ein leerer Akku in rund zwei Stunden zu 80 Prozent geladen ist. Auch führe die Systemintegration des Akkus zu Gewichtsersparnis: Es spare Gewicht, da Akkuhülle und Schloss entfallen, da die Zellen sicher im Unterrohr sitzen. Mit der integrierten Batterie sei der Rahmen auch deutlicher leichter zu bauen und die Produktverantwortlichen von Rocky Mountain meinten auch lapidar, dass das Bike mit integrierter Batterie wesentlich besser aussehe.

Wie ist es zu bedienen?

Zu steuern ist das E-Bike-Aggregat über eine Fernbedienung, die links am Lenker sitzt. Anzuwählen mit zwei Tasten sind drei Unterstützungsstufen. Die stärkste Stufe bietet eine üppige Verstärkung der Tretkraft – aber ohne dabei zu stark oder überfordernd zu wirken. Da der Antrieb schnell auf Tretkraft- und Kadenzänderungen reagiert, entsteht in keiner Fahrsituation die Emotion, bloss Passagier zu sein. Im Gegenteil, das Altitude Powerplay vermittelt das Gefühl eines waschechten Mountainbikes, es fährt sich ausbalanicert und zeigt ein lebendiges Heck, das willig um enge Spitzkehren zirkelt. Doch zurück zur Fernbedienung: Diese zeigt den Akkustand mit vier hinterleuchteten Balken an und bietet eine Taste für eine Schiebehilfe. Die Remote erfüllt ihre Funktion, bezüglich Haptik und Optik ist noch Luft nach oben. Die Tasten sind nicht gerade mit einem definierten Klicken gesegnet. Für die gewohnt hohe Verarbeitungsqualität von Rocky Mountain fällt diese Fernbedienung erstaunlicherweise etwas ab, aber wie erwähnt: Das Gerät erfüllt seine Funktion. Um mit der wertigen Anmutung des Bikes mitzuhalten, wäre eine Fernbedienung beispielsweise aus gefrästem Alu oder aus Carbon à la Race Face-Standard passender.

Eine weitere Möglichkeit zur Steuerung des Antriebs bietet die App «Ebikemotion», die über ein Smartphone läuft, mit Bluetooth mit dem Bike zu verbinden und für Android und iOS zu haben ist. Damit diesem Smartphone nicht gleich der Saft ausgeht, verbirgt sich dezent unter dem Vorbau ein USB-Anschluss. Mit der App lassen sich beispielsweise die Antriebsmodi individualisieren und ganz profan Reichweite oder Batteriestand anzeigen. Oder die Herzfrequenz, die über den Brustgurt und Ant+ ermittelt wird, entscheidet, wann welcher Unterstützungmodus angewählt wird, also quasi eine herzgesteuerte Unterstützungsautomatik. Ebenso bietet die App ganz profan eine Navigationsfunktion.

Ab voraussichtlich Ende Juni verfügbar sind drei Modelle des «Altitude Powerplay». Die Basisversion «Carbon 50» federt mit Rock Shox Yari und Deluxe-Dämpfer, bietet 500 Wattstunden beim Akku und bringt 22.3kg auf die Waage. Beim «Carbon 70» ist das Gewicht identisch, die Federelemente stammen von Fox (Fox 36 Float EVOL Grip Performance 160mm / Fox Float DPS EVOL Performance Elite) und die Batterie ist mit 632 Wattstunden eine gute Portion stärker ausgelegt. Das Top-Modell «Carbon 90» ist mittels Carbon-Kurbel und Felgen und weiteren hochwertigen Teilen mit 21.6kg sehr leicht aufgestellt, bei den Federelementen sind die Gabel Fox 36 Float EVOL FIT4 Factory 160mm und der Dämpfer Fox Float DPS EVOL Factory an Bord.

Alle drei Modelle schalten mit der 8-Gang-E-Bike-Schaltung «EX1» und verzögern mit den Stoppern «Guide RE» mit 200mm-Rotoren von Sram. Stets an Bord ist die Geometrieverstellung «Ride 9», die Anpassungen ans Terrain und persönliche Vorlieben ermöglicht - beispielsweise eine Kettenstrebenlänge von 423 bis 426 Millimeter.

Fazit: Rocky Mountain legt mit dem «Altitude Powerplay» einen sehr sauberen und durch und durch eigenständigen Auftritt hin. Kleine Schwächen, oder anders formuliert Luft nach oben für weitere Produkte-Generationen, sind auszumachen bei der Optik und Haptik der Fernbedienung, der Optik der oberen Kettenrolle sowie der Motorabdeckung und dem Geräusch der Kette bei niedrigen Kadenzen. Die Fahreigenschaften und die Kraftentwicklung des Aggregats des kanadischen Boliden sind nicht nur über jeden Zweifel erhaben, sondern bringen sehr viel Fahrspass, bis hin zu ruppigem Enduro-Terrain. Beim Blick auf die Geometrie stechen die kurzen Kettenstreben hervor und dass die Geometriepunkte trotz Mittelmotor und Batterie sich von einem unmotorisierten Enduro kaum unterscheiden. Die Tretunterstützung wirkt harmonisch und kommt dem Gefühl sehr nahe, ein «normales» Mountainbike zu fahren. Der tief im Rahmen positionierte Mittelmotor sorgt für einen stimmigen Schwerpunkt des Bikes und diese Bauweise mit integrierter Batterie macht auch Platz für einen Flaschenhalter auf dem Unterrohr . Wer nicht stets mit Trinkrucksack unterwegs sein will, wird es schätzen, dass das «Altitude Powerplay» Bidonhalter-tauglich ist.

Es ist geradezu erfrischend, dass Rocky Mountain nicht einfach ein weiteres Bike mit den populären Mittelmotoren à la Bosch oder Shimano baut. Auch bei der Spezifikation zeigt man mit 2.5 wide trail Reifen vom Schlag Maxxis Minion einen eigenen Weg, der bewusste Verzicht auf Plus-Bereifung spendiert dem Powerplay präzise Fahreigenschaften. Mit 22.1 Kilogramm steht das getestete Modell auch beim Gewicht äusserst konkurrenzfähig gut da, besonders angesichts des Akkus mit 632 Wattstunden. Für einige loyale Rocky Mountain-Fans stellt das «Altitude Powerplay» vermutlich eine Herausforderung dar. Es gleicht einem Paradigmen-Wechsel, wenn ein Core Brand wie Rocky Mountain ein E-Mountainbike auf den Markt bringt. Auch wenn einige Traditionalisten E-Unterstützung für unnötig halten, hier ein Trost: Das «Altitude Powerplay» kommt vom Fahrverhalten her dem unmotorisierten «Altitude» sehr nahe - besonders bergab.

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