Fahrschule zum Zweiten: Der Gorilla und sein Dompteur | Ride MTB

Fahrschule zum Zweiten: Der Gorilla und sein Dompteur

Der Versuch, ein besserer Mountainbiker zu werden, führt Ride-Redaktor Stefan Michel in eine Privatlektion bei Guide-Ausbilder Dave Spielmann. Dabei erweisen sich 25 Jahre Mountainbike-Erfahrung als hartnäckige Gegner.

Ich komme mir vor wie ein Depp. Im Schritttempo rolle ich über ein nicht allzu holpriges Wurzelfeld, habe aber eine Position, als ob ich auf der Zielgeraden eines Downhill-Rennens die letzten Hundertstelsekunden herausholen wollte. Und je übertriebener ich über dem Lenker den Gorilla mache, desto besser findet es Fahrtechnik-Coach Dave. Gut ist meine Position erst, wenn meine Hüfte höher liegt als mein Kopf; zumindest fühlt es sich für mich so an. Als mir Dave dann demonstriert, wie ich tatsächlich auf dem Bike stehe und mir auch noch Fotos davon zeigt, wird mir klar, wie weit meine Wahrnehmung von der Realität entfernt ist.

Dies ist meine zweite Mountainbike-Fahrstunde, diesmal eine Privatlektion. Dave Spielmann, Mountainbike Guide, Guide-Ausbilder und Geschäftsführer der IMBA Schweiz, nimmt mich mit auf den Brambrüesch, einen der Churer Hausberge und Einstieg in den Alpenbikepark. Schon bei den ersten Trockenübungen im Flachen zeigt sich meine suboptimale Position auf dem Bike. Und damit wächst meine Hoffnung, dass ich tatsächlich fahrtechnisch noch zulegen kann, wenn ich es schaffe, die eingeschliffenen Muster zu überwinden.

25 Jahre in der falschen Position

Meine Routine auf dem Bike ist mein Problem. Vor mehr als 25 Jahren pedalte ich zum ersten Mal auf Stollen durchs Gelände, in den letzten 15 Jahren nahm der Singletrail-Anteil meiner Bike-Runden stetig zu. Ich habe einiges gelernt in diesen Jahren, alles learning by doing oft auch by falling. Und ich scheine auch viel Falsches gelernt zu haben. Den Kampf gegen diese Fehler nehme ich an diesem Nachmittag auf und bin gespannt, wie lange er wohl dauern wird. 

Der Wurzelteppich, auf dem wir nun üben, ist nicht übermässig steil und fordert mich fahrtechnisch wenig. Falsch mache ich trotzdem viel: «Das Kinn über den Vorbau! Kopf runter, Hüfte hoch! Knie weniger beugen, Fersen runter!» Die richtige Position einzunehmen, ist viel schwieriger, als das kurze Steilstück mit dem 90-Grad-Knick am Ende zu fahren. Wie ein Tänzer vor dem Choreografen variiere ich meine Bewegungen und frage mit den Augen: «Wie war ich?»

Die vorgeschobene Position fühlt sich komisch an, der stärkere Grip des Vorderrads ist aber zu spüren. Was mich beschäftigt, ist, dass ich in meinen vielen Bike-Jahren schon einige Male über den Lenker ging, was ich immer so interpretierte, dass mein Schwerpunkt bereits zu weit vorne war. Wie lange es wohl dauert, bis ich aus der Gorillaposition heraus den Hecht mache?

Als nächstes fahren wir die blaue Strecke des Alpenbikeparks. Fahrschüler vorne, Fahrlehrer hinten. «Fahr halb so schnell, wie du fahren könntest. Das ist der Bereich, in dem du dazu lernst.», gibt mir Dave mit auf den Weg. Ok, lockeres Tempo, mehr bremsen als nötig, bei den Sprüngen kaum abehben. Nach ein paar hundert Metern stoppt mich Dave zum ersten Mal. «Kannst du doppelt so schnell fahren, wie du gerade unterwegs warst?», will er wissen. «Ähm, nein», gebe ich zu. Also noch langsamer. Den Schwerpunkt am richtigen Ort und die linke Ferse unten zu halten, wird dadurch nicht einfacher.

Das Körpergedächtnis braucht 3000 Wiederholungen

Fahrtechnikkurse erleben einen Boom und laut Dave Spielmann lösen sie das klassische Tour Guiding ab. «Das Hauptsegment ist 40 oder älter, bikt seit einigen Jahren und möchte sich weiterentwickeln. Die leisten sich das und sehen den Mehrwert, den es ihnen gibt.» 300 Franken verrechnet er für einen halben Tag Einzelunterricht. Umso wichtiger findet er es, dass jene, die Fahrtechnikkurse geben, ausgebildete Guides sind und nicht nur selber gut fahren, sondern gelernt haben, wie man dies anderen beibringt. Bleibt anzufügen, dass Dave Spielmann die Guide-Ausbildung bei Swiss Cycling in den letzten Jahren weiterentwickelt hat, was seine Ansicht in dieser Frage beeinflusst.

Eine andere Frage ist, bis in welchem Alter man überhaupt dazu lernen kann. Für Dave steht fest: «Das kann man immer, wenn man bereit ist zu üben, denn das Körpergedächtnis braucht bis zu 3000 Wiederholungen, um ein neues Bewegungsmuster zu speichern.»Natürlich lernt man je jünger desto schneller, was in Familien, die bei Dave ein Gruppen-Coaching buchen auch mal zu einer speziellen Dynamik führen kann: Der Vater, der sein Bike am besten beherrscht, lernt weniger dazu als seine Frau und seine Kinder kapieren die Übungen am schnellsten.

Bei mir gibt es nur den Lehrer und mich, oder den Gorilla und sein Dompteur. Wir rollen inzwischen über einen mittelschweren Trail, immer schön langsam. Meine Position sei gut, bis ein unerwartetes Hindernis auftaucht, beschreibt der Coach, dann wandere der Oberkörper wieder nach hinten, die Hüfte nach unten und so weiter und so fort. Lob gibt es natürlich auch, nicht immer scheint mir dieses angebracht. Gemessen daran, wie falsch meine Position auf dem Bike seit 25 Jahren ist, fahre ich noch recht gut, denke ich zwischendurch.

Alles nur Midlife Crisis?

Immer wieder frage ich mich auch, warum es mir überhaupt so viel bedeutet, gut zu biken? Reicht es nicht, dass ich es ordentlich kann, überall schöne Singletrails finde, auf denen ich Spass habe? Aber es gibt gerade auf meinen Hometrails Passagen, die ich nicht – oder noch schlimmer, nicht mehr – fahre. Es ist eine Mischung aus naivem Sportsgeist und Aufbegehren gegen das Älterwerden (manche nennen es Midlife Crisis, ich nenne es Lebensfreude). Auf jeden Fall ist mein Glücksgefühl am Ende des Trails am grössten, wenn ich von oben bis unten keinen Fuss auf den Boden gesetzt habe. Ausserdem finde ich es einfach interessant zu sehen, was bei mir fahrtechnisch noch drin liegt.

Der nächste Trail-Abschnitt ist schon deutlich knackiger, eine Serie steiler, enger Kehren fordert mich. Im Gorilla passiere ich sie nicht super flüssig, aber ich komme rum und denke nicht daran, abzusteigen. Dave ermutigt und jubelt von hinten. Immer wieder falle ich ins alte Muster zurück, das sich immer noch natürlicher anfühlt, aber die Vorteile der neuen Position überwiegen. Ich wäre mit Sicherheit nicht alle diese Spitzkehren auf Anhieb gefahren, wie ich das an diesem Nachmittag tue.

Als wir schliesslich durch Chur dem Bahnhof entgegen rollen, fühle ich mich ein wenig, als hätte ich soeben die Fahrprüfung bestanden. Habe ich tatsächlich den Schlüssel gefunden, um steilere, engere, verblocktere Trails fahren zu können als ich das bis jetzt konnte? Dave mahnt, das Üben fange erst an und geht mit mir ein letztes Mal die entscheidenden Regeln durch, die mich ab jetzt als Mountainbike-Mantras begleiten sollen: Kopf runter, Hüfte hoch, Fersen runter. Nicht zu vergessen, den Gorilla, der ich sein soll.

Drei Tage später will ich wissen, wie sich meine neue Fahrweise auf meine Lieblingsabfahrten zuhause auswirkt. Entschlossen rolle ich auf die erste Schlüsselstelle zu. Ich bin sie schon ein mehrmals gefahren, immer leicht ausser Kontrolle und stieg die letzten Male immer ab. Nun habe ich das Kinn vorne, die Ellbogen draussen, rolle optimistisch rein, will nicht zu schnell werden. Und steige wieder ab. Zwei weitere Versuche führen zu einem Sturz und der Erkenntnis, dass ich noch kein neuer Mensch bin auf dem Bike. Das heisst natürlich nicht, dass die Fahrstunde mit Dave nichts gebracht hat. Vielleicht brauche ich meinen Fahrlehrer am Hinterrad, um daran zu glauben, dass ich eine schwierige Stelle fahren kann.

Daves Reaktion auf diesen Rückschlag: «Du lernst nicht, in der Zone, in der du 100 Prozent geben musst.»
 


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