Der Rio Countdown – Besuch im Camp der Schweizer Mountainbiker | Ride MTB

Der Rio Countdown – Besuch im Camp der Schweizer Mountainbiker

Heute Dienstag haben die fünf Schweizer MTB-Olympioniken ihr einwöchiges Quartier in den Bergen nördlich von Rio de Janeiro verlassen und sich auf den Weg ins Olympische Dorf gemacht. Ride hat Nino Schurter, Jolanda Neff und Co. vorher noch besucht und einen Einblick in die vorletzte Vorbereitungs-Stufe des eidgenössischen Quintetts bekommen.

Fast eine Stunde lang fährt man auf einer kurvenreichen Strasse von der Peripherie der Millionenstadt Rio de Janeiro bis man Petropolis erreicht. Der Ort, rund 750 Meter über dem Meeres-Spiegel, hat nicht viel von der hektischen und lauten Grossstadt am Zuckerhut. Noch mal zehn Minuten nördlich hatten die fünf Schweizer Mountainbiker für eine Woche Quartier bezogen. Unter vorzüglichen Bedingungen, wie sie bei einem Besuch von Ride einhellig bestätigen. Ein schattiges Plätzchen unter Palmen war das Refugium Pousada les Roches für das Quintett und ihre Betreuer. Im doppelten Sinne. Der schön angelegte Park mit einzelnen Häuschen liegt in einem Tal und ist geschützt vor zu viel Sonne. Aber er ist auch ein Ort, den man nicht zufällig erreicht, der gewissermassen auch im Schatten von Olympia liegt. «Hier oben bekommt man von Spielen eigentlich nichts mit», erklärt Linda Indergand. Nur im Fernsehen. Vor einem großen TV-Screen trifft man dann am frühen Abend Nino Schurter, Lars Forster und Mathias Flückiger an. Es läuft Bahnrad-Sport, der Omnium-Wettbewerb. Das Trio geht mit, rechnet, kalkuliert, was in welchem Fall passieren könnte und leidet mit, als es zu einem Sturz kommt.

Training in der Abgeschiedenheit

Die Abgeschiedenheit war gewollt. Auch die Franzosen mit Julien Absalon und Pauline Ferrand Prevot sind in der Gegend, vermieden allerdings den Kontakt zu den Rivalen aus dem Nachbarland. «Es ist ideal, dass wir hier so abgeschottet sind», sagt Mathias Flückiger, der als Einziger den Weltcup in Mont Sainte Anne bestritten hat und von dort später angereist ist. «Das Olympia-Feeling bekommt man da zwar noch nicht, aber man muss sich nicht mit dem Trubel im Olympischen Dorf auseinander setzen und spart Energie. Das ist in dieser Phase das Beste.» Die Trainingsbedingungen sind ausreichend. Nur ein paar Kilometer entfernt ist ein Cross-Country-Kurs, auf dem Brasilianische Meisterschaften ausgetragen wurden. Und auch sonst ist alles da, was man für eine Woche braucht. Nino Schurter hat noch mal eine letzte harte Trainingswoche hinter sich gebracht. «Ich habe ein gutes Gefühl», bestätigt der Weltmeister. Am Dienstag verließ die Truppe unter der Regie der Nati-Trainer Bruno Diethelm und Edi Telser ihr Quartier in Richtung Rio. Dort ist der Deodoro Mountainbike-Park am Mittwoch erstmals für Training geöffnet.

Schurter wirkt als ob die Ruhe der Pousada les Roches Wirkung entfaltet hat. Er wirkt entspannt. «Ich bin viel gelassener als vor vier Jahren», bestätigt er. «Es hat sich auch viel verändert seither», versucht er zu erklären. Die vielen Erfolge, vier Weltmeister-Titel hat er sich seither geholt, aber auch der Geburt seiner Tochter Lisa im vergangenen Oktober. «Ziel ist Gold, klar das muss es sein. Nach der Vorgeschichte und mit einer optimal verlaufenen Vorbereitung ist das auch realistisch», sagt Schurter beim Abendessen. «Aber wenn es nicht klappt, dann geht die Welt auch nicht unter.»

Jolanda Neff vor dem nächsten Rennen – entspannte Linda Indergand

Jolanda Neff sitzt ihm gegenüber. Auch für sie geht es um Gold, sicherlich. Aber vor ihren ersten Olympischen Spielen steht sie an einem anderen Punkt. Sie dürfte noch mehrere Einsätze unter dem Zeichen der Fünf Ringe erleben. Genauer gesagt, hat sie ja schon einen erlebt: das Straßenrennen. Ob sie den achten Platz als Erfolg verbucht hat, lässt sich nicht so genau tarieren. «Ich denke, ich habe aus meinen Möglichkeiten viel heraus geholt und habe mich richtig verhalten. Klar, wäre es gut gewesen ganz vorne dabei zu sein, aber ich habe nur wenige Straßenrennen bestritten und mein Fokus liegt ganz klar auf dem Mountainbike», erklärt Neff, die am letzten Berg den Anschluss an die späteren Medaillengewinnerinnen verlor. Ohne Team-Unterstützung war sie natürlich auch im Nachteil. Aber das ist erst mal Geschichte, die Aufmerksamkeit gilt jetzt dem Cross-Country-Rennen. Am Dienstag zog sie also erneut ins Olympische Dorf ein. Für Linda Indergand beginnt das Abenteuer Olympia mit dem Einzug ins Dorf dann erst so richtig. «Es war gut hier zu sein», sagt sie, «hier ist es wirklich super. Wir hatten optimale Bedingungen und mega feines Essen.»

Die TV-Bilder aus Rio waren noch ferne Welt, in die sie jetzt eingetaucht ist. Der Standard im Olympischen Dorf ist indes ein gutes Stück entfernt vom Luxus, den sie in den Bergen genossen haben. «Es ist schon einfach», berichtet Neff von ihren ersten Erfahrungen. «Aber es ist ja klar, wenn man Unterkünfte für 10000 Athleten bauen muss. Wer hier her kommt, stellt sich darauf ein, das ist kein Problem.»

Aus dem TV-Erlebnis wird ab Dienstag das hautnahe Erleben. «Man sieht es im TV und es ist mega cool selber ein Teil davon zu sein», sagt Indergand.  

Tipps vom Weltmeister für Lars Forster

Lars Forster geht es ähnlich. «Es kommt langsam immer mehr und ich bin sehr gespannt was mich erwartet.» Er hat versucht die Erfahrungen von Nino Schurter aus dessen zwei Olympia-Teilnahmen anzuzapfen. «Ich habe ihn ein wenig ausgefragt und er hat mir Tipps gegeben», berichtet Forster. Zum Beispiel von den vielen speziellen Abläufen, die ihm begegnen werden, nicht beeinflussen zu lassen. «Das sind kleine Dinge, aber es ist gut, wenn man noch mal die Aufmerksamkeit darauf lenkt und sich einstellt.» Wenn sie von einem so erfolgreichen Athleten wie Schurter kommen, sowieso. «Ich schaue zu ihm auf, er ist wie ein Freund», sagt Forster.

Schurter als Team-Leader

Der Älteste im Fünfer-Verbund ist der natürliche Team-Leader und die Rolle scheint er auch angenommen zu haben. Ein Lautsprecher war Nino Schurter nie, aber seine Ausstrahlung reicht in diesem Kreis bei weitem, um Autorität zu sein. Dass er sich eine Gelassenheit angeeignet hat, dürfte dem ganzen Team eine leistungsfördernde Orientierungs-Hilfe sein.