Blog: Marmor, Stein und Eisen bricht – aber mein Carbon-Rahmen nicht | Ride MTB

Blog: Marmor, Stein und Eisen bricht – aber mein Carbon-Rahmen nicht

Ein Kohlefaser-Rahmen bricht nicht. Aber wenn, dann einfach so. Sudden death nennt das der Werkstoffphysiker. Also man merkt lange gar nichts – und dann kollabiert das Teil. Das ist an sich ein guter Grund zur Panik, und doch fahren wir alle Carbon-Bikes. Das Schöne dabei: So ein Rahmenversagen ist extrem selten. Dieser Blog beschreibt, was mit Carbon-Teilen alles passieren kann.

Geringes Gewicht, hohe Steifigkeit: Dieses Versprechen löst Carbon ein und deshalb ist der schwarze Stoff in der Bike-Branche heiss begehrt und geliebt. Carbon-Teile können aber versagen, sprich brechen – wenn das auch selten ist. Lesen Sie weiter, wenn Sie wissen wollen, welche Wege ein Carbonteil in seinem Lebenszyklus nehmen kann.

Station A: Reif für die Mülltonne

Es war der legendär heisse Sommer im Jahr 2000, ich besass stolz mein erstes Carbon-Fully. Das Traumbike war leicht, schnell und die Bremshebel so steil eingestellt, dass nach dem Sturz mit umschlagendem Lenker das Oberrohr noch leichter war. Weil ein gutes Stück davon fehlte. Die filigrane Kontermutter der V-Brake-Zugsnachstellung hatte das Oberrohr wie mit einem stumpfen Pfadi-Dolch zerfurcht. Der Rahmen war schrottreif, habe ich gedacht, und ebenso gehandelt: Beim städtischen Recycling-Unternehmen wurde ich vorstellig. Ich solle den Rahmen in die Tonne mit den Autoreifen schmeissen. Gesagt getan. Im Jahr 2000 war noch nicht viel los mit Carbon-Recycling. Oder eventuell wurden neue Reifen produziert, die mit Fully-Fasern verfeinert waren – nobody knows.

Plan B: Zum Prüfer

Das Unterrohr gibt Geräusche von sich, als hätte man es mit Schrott beschossen. Die Munition ist jedoch Geröll und das Gefühl, die Zuversicht, dass das schon alles haltbar sei, verkleinert sich mit jedem Meter bergab. Ich setzte mich an den Rechner und finde via Suchmaschine ein Prüflabor. Das Labor klingt vertrauenserweckend, der Rahmen geht auf die Post. Ein paar Tage später gibts ein PDF und den Rahmen zurück. Mit Ultraschall und einer Thermografie hat der Prüfer den Rahmen untersucht. Sein Urteil, das eine klare Interpretation nicht zulässt: Am Unterrohr ist eine typische Anzeige für einen möglichen Schaden... Deutliche Anzeige messbar, die möglicherweise durch einen Steinschlag Impact erklart werden kann... Material aber sehr dicht und besteht kein direktes Versagen... Bitte behalte die Stelle im Auge...
OK, das beruhigt erstmals, auch wenn die Haftungsklausel dann klar besagt, dass der Einsatz des Rahmens auf eigenes Risiko erfolgt.

Plan C: Einfach weiterfahren

Bei Plan B habe ich ein Dokument vorliegen (und einen stattlichen Betrag weniger auf dem Konto), das mir weis macht, dass ich den Rahmen wohl schon weiter fahren kann. Doch es geht auch anders: Man fährt den Rahmen einfach so weiter – ohne Prüfung. Es ist vielleicht die schlaueste, weil günstigste Variante. Aber vielleicht auch die dümmste Idee, denn das mit dem eingangs beschriebenen Sudden Death steckt dann zwar nur im Hintergrund, aber unauslöschbar im Nacken. Deshalb war Plan C bisher nur kurzfristig eine Option, meist abgelöst von Plan D.

Plan D: Einfach austauschen

Dieses Verfahren ist nicht gut fürs Portemonnaie, aber gut fürs Gefühl. Das von Sturz oder Steinschlag geplagte Teil wird ausrangiert und was Neues kommt ran. Es gibt Hersteller, die machen einem das gute Gefühl noch etwas einfacher – Crash Replacement nennt sich das.

Plan E: Das marode Kohlefaser-Teil instandsetzen

Carbonteile lassen sich reparieren. Das braucht geübte Hände und das richtige Material. Von Do it yourself ist abzuraten. Der Autor kann von Carbonreparaturen beim Bike nichts berichten. Doch eine Carbonreparatur war erfolgreich: Der angeknackste Windsurf-Mast aus Carbon hat mit schwungvoll aufgetragenen, zahlreichen Lagen aus Wundgaze und Zweikomponentenkleber noch recht lange gehalten. Aber ein Windsurf-Mast ist keine Satttelstütze, oder Lenker oder Rahmen. Deshalb: don't try this at home.

Station F: Zum Recycling

Ja, Carbon ist heute wiederverwertbar. Aus einem Carbon-Rahmen entsteht dann zwar kein neuer Rahmen. Aber die Fasern werden aufbereitet, dann das verbindende Harz verbrannt. Und dann die gewonnenen Fasern zu einer Art Vlies weiterverarbeitet, das dann beispielsweise Bauwerke verstärkt. Bei Veloplus schreibt man Umweltschutz und Recycling gross – und deshalb bietet dieses Unternehmen auch die Abnahme von Carbonteilen an und führt sie der Wiederverwertung zu. Aktuell sind neben Veloplus auch Bakterien im Gespräch beim Carbon-Recycling. Diese sollen das Harz zwischen den Fasern wegknabbern und die wertvollen Fasern freilegen.